Gerichtliches Guantánamo-Nachspiel
1. März 2016In seinem Buch "Reise zur Hölle" erzählt der Franzose Mourad Benchellali von Folter und Beleidigungen, die er während seiner zweijährigen Haft im US-Militärgefängnis Guantánamo Bay auf Kuba erlitten hat. Zum ersten Mal traf er mit dem Mann, dem das neueröffnete Lager Camp X-Ray unterstand, Anfang 2002 kurz nach seiner Ankunft zusammen.
"Ich sah seine Augen - harte Augen voller Verachtung -, mit denen er mich abschätzig ansah", schrieb Benchellali über General Geoffrey Miller, als der sich die ersten Lagerinsassen ansah und versprach, deren islamische Religion werde man respektieren. Zwar habe es nach dem Besuch tatsächlich ein paar Veränderungen gegeben, schreibt Benchellali, doch die versprochenen Verbesserungen hätten "schnell ihre Glaubwürdigkeit verloren".
Mehr als zehn Jahre später hat ein Pariser Berufungsgericht den ehemaligen Gefängnisaufseher von Guantánamo als "témoin assisté" vorgeladen. Dieser Ausdruck aus der französischen Justiz bezeichnet einen Status, der zwischen einem Angeklagten und einem Zeugen liegt; formell Anklage wird gegen einen "témoin assisté" nicht erhoben. Unabhängig von der Rolle des Offiziers lautet die Anklage auf unrechtmäßige Haft sowie Folter von Benchellali und dessen Mithäftling Nizar Sassi.
"Ich will, dass er den Folterbefehl erläutert und rechtfertigt", so Benchellali über den inzwischen pensionierten US-General, der Guantánamo von 2002 bis 2004 leitete. Doch Miller ist nicht in Paris erschienen. Das hatten Benchellali und sein Anwalt William Bourdon allerdings auch nicht erwartet. Doch sie sehen in der Vorladung an sich einen ersten Sieg.
Benchellali will seinen Ruf retten
Für Benchellali stellt sie einen wichtigen Schritt bei seiner persönlichen Mission dar, nach seiner zweieinhalbjährigen Haft in Guantánamo als "feindlicher Kämpfer" seinen Namen reinzuwaschen. 2004 wurde er nach Frankreich verlegt, wo er zwei weitere Jahre in Haft war, bevor er 2006 auf freien Fuß gesetzt wurde. Ein Jahr später widerrief ein französisches Berufungsgericht die auf Verschwörung zu terroristischen Straftaten lautenden Urteile gegen Benchellali und vier weitere Guantánamo-Häftlinge.
"Es geht hier um mehr als ein Symbol", so Benchellali. "Möglicherweise können wir den Verantwortungsbereich vergrößern und auch andere Personen vorladen. Wir hoffen, dass die Richter ihre Ermittlungen fortsetzen können."
Vor einer Woche hat US-Präsident Obama den Kongress aufgefordert, einer Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo zuzustimmen, so wie er es als Präsidentschaftskandidat versprochen hatte. "Er nennt alle Argumente, die wir seit langem vorgebracht haben", sagt Benchellali über den Präsidenten.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis beschrieb Benchellali in seinem Buch "Reise zur Hölle" seinen Weg von einem schäbigen Vorort von Lyon nach Afghanistan, wo sein Bruder ihm und Nizar Sassi einen "Urlaub" versprochen hatte. Stattdessen fanden sie sich in einem Al-Kaida-Ausbildungslager wieder.
Das Buch erzählt, wie die beiden schließlich aus dem Lager und über die Grenze nach Pakistan entkamen. Das war Ende 2001. Die USA standen damals noch ganz unter dem Schock der Anschläge des 11. September. Die beiden jungen Männer wurden gefasst und amerikanischen Streitkräften übergeben, die sie nach Guantánamo brachten.
"Mit wenigen Worten kann ich das Leiden und die Folter gar nicht beschreiben; doch das Schlimmste am Leben im Lager war die Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, dass du nichts verändern wirst, egal, was du sagst", schrieb Benchellali 2006 in einem Artikel für die New York Times.
Er und Sassi fordern seit Jahren, dass französische Gerichte gegen den Campleiter Miller vorgehen. Im April vergangenen Jahres forderte das Pariser Berufungsgericht, dass Miller zur Befragung erscheine.
Auch in den USA wurde der Ex-General wegen des Vorwurfs der Gefangenenmisshandlung in Guantánamo sowie in Abu Ghraib im Irak vorgeladen. In Abu Ghraib war Miller an der Einführung der berüchtigten Verhöre von Häftlingen beteiligt. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat sich zu der Vorladung in Frankreich bisher nicht geäußert.
Gegen den radikalen Islam
Aktuell reist Benchellali kreuz und quer durch Frankreich und Europa, um seine Geschichte zu erzählen und junge Leute vor einer Radikalisierung zu warnen. Da vermutlich zur Zeit hunderte Europäer im Irak und in Syrien kämpfen, ist er sehr gefragt - obwohl, wie er sagt, nach wie vor viele französische Schulen immer noch zögern, ihn zu Vorträgen einzuladen.
Im November sei ihm die Einreise nach Kanada verweigert worden, sagt er, wo er eingeladen gewesen sei, bei verschiedenen Veranstaltungen zu sprechen. Nachdem sie ihn zwei Tage lang festgehalten hatten, schickten ihn die kanadischen Grenzbeamten zurück nach Frankreich.
Doch Benchellali lässt sich nicht entmutigen. Am vergangenen Wochenende war er mit Amnesty International in der Bretagne unterwegs und will diese Woche mit Jugendlichen in Belgien sprechen. Das gerichtliche Verfahren in Paris verfolgt er aufmerksam. "Von den Gerichten und von meinen Anwälten ist es sehr mutig", sagt er, "dieses Verfahren in Gang zu halten."