Geteilte Freude in Korea
14. Juni 2005Die Entfremdung zeigt sich an Umwegen. Wenn Uwe Schmelter vom Goethe-Institut in Südkorea ein Fax zum neuen Goethe-Informationszentrum nach Nordkorea schicken will, läuft das erst mal über den halben Kontinent. Möglich nur via Peking. Kein Telefon, kein Fax, kein Briefverkehr: Fünf Jahre nach dem ersten Gipfeltreffen der beiden Koreas sind die Grenzen noch immer absolut dicht. "Die Grenze zwischen DDR und BRD war dagegen total durchlässig", sagt Uwe Schmelter, der bis vor wenigen Tagen das Goethe-Institut in Seoul leitete.
Versiegter Enthusiasmus
Aufbruchsstimmung war vor fünf Jahren zu spüren, sagt er, aber davon sei heute nicht mehr viel übrig. Ein Abkommen wurde damals getroffen, über wirtschaftliche Zusammenarbeit und politische Annäherung. Der erste Annäherungsversuch überhaupt, 52 Jahre nach der Trennung in Nord und Süd, kommunistisch und kapitalistisch. Seitdem haben Millionen Menschen ihre Verwandten nicht mehr gesehen und - anders als in der DDR - nicht einmal per Brief Kontakt halten können.
Ein wenig ist natürlich schon geschehen in diesen fünf Jahren. Bilder gingen um die Welt von weinenden Menschen, die sich die Arme fallen. 70-jährige Eheleute die sich zum ersten Mal wieder sehen nach ihrer Hochzeit 1949. Familienzusammenführung für zwei Tage. "Der Schmerz bei der Trennung ist dabei schlimmer als das Glück des Wiedersehens", sagt Song Du-Yul, Soziologieprofessor in Münster. Ein längeres Wiedersehen der Verwandten ist momentan undenkbar. "Man muss mit kleinen Schritten zufrieden sein, denn die Gewichtung dieser Schritte fällt ganz anders aus als im Westen", sagt Uwe Schmelter.
Wirtschaftsenklave an der Grenze
Einen großen Schritt haben die beiden Systeme allerdings in den fünf Jahren gemacht. Ausgerechnet da, wo sie sich am meisten unterscheiden. Vor drei Jahren wurde die Sonderwirtschaftszone um die Grenzstadt Kaesong gegründet. "Kaesong", das ist nun das Zauberwort für den "Wandel durch Handel". Rund 100 mittelgroße Firmen aus Südkorea haben sich an der Grenze zum "Steinzeitkommunisten" angesiedelt. Südkorea bringt Kapital und Technik mit, die Nordkoreaner billige Arbeitskraft. "Die Sonderwirtschaftszone ist unglaublich wichtig", sagt Song Du-Yul. "Hier können die Südkoreaner zum ersten Mal erfahren, wie ihre Nachbarn überhaupt denken". Noch ist alles im Aufbau, doch demnächst wollen die Koreaner die gemeinsamen Produkte in Europa verkaufen. Eine zweite Wirtschaftsenklave ist schon in Planung.
Am Mittwoch (15.6.) bekräftigten beide Staaten ihre Absicht zu weiterer Zusammenarbeit. Beide Seiten sollten ihrer Verantwortung gerecht werden, auf eine Wiedervereinigung hinzuwirken, sagte der nordkoreanische Ministerpräsident Pak Pong Ju zum Auftakt der Jubiläumsfeier in Pjöngjang. Der südkoreanische Delegationsleiter, Vereinigungsminister Chung Dong Young, rief zur Überwindung der militärischen und ideologischen Konfrontation auf.
Sand im Getriebe der Annäherung ist freilich Nordkoreas Atomprogramm, mit dem es den Zorn der internationalen Gemeinschaft auf sich gezogen hat. Nordkorea begründet das Programm damit, dass es sich durch die USA in seiner Existenz bedroht sieht. Und der Süden ist Partner der USA. "Wie schlimm man Nordkorea bewertet, man muss verstehen, dass auch solche Staaten Sicherheitsgarantien und ihre Macht erhalten wollen", sagt Uwe Schmelter. Er hofft auf eine koreanische Lösung, internationaler Druck und Einigungsmodelle von Außen funktionieren seiner Meinung nach nicht. Deutsche Einheit auf Koreanisch, das sei unrealistisch. So sieht sich das Goethe-Institut mit seinem Engagement in beiden Landesteilen nicht als politischer Ratgeber. "Die menschlichen Aspekte der Teilung sind vergleichbar. Die Deutschen gelten hier als geschätzte Ansprechpartner, wegen des gemeinsamen Schicksals, 40 Jahre lang."
Bremser Südkorea
Anders als im geteilten Deutschland ist in Korea nicht die kommunistische Diktatur der Vereinigungs-Bremser. Die Einheit ist in Nordkorea Staatsziel, nach dem Motto: ein Land zwei Systeme. Der bitterarme Norden lechzt nach dem wirtschaftlichen Know-how des Südens. Song Du-Yul bringt den unterschied auf eine Metapher: "Südkorea sieht ein zukünftiges Verhältnis wie zwei Reihenhäuser, gemeinsamer Garten aber jeder in seinem Haus, Nordkorea will eher eine WG."
"Der Willen zur Wiedervereinigung ist in Südkorea nicht unwidersprochen", sagt auch Uwe Schmelter. Vor allem die starke konservative Opposition identifiziert sich selbst über den Anti-Kommunismus und hat Angst, eine Wiedervereinigung könnte den endlich errungenen Wohlstand gefährden. So gab es Proteste gegen die Annäherungspolitik des damaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Kim Dae Jung. So gilt immer noch das rigide Sicherheitsgesetz von 1953. Es verbietet über die Wiedervereinigung mit Nordkorea auch nur zu reden. Der Soziologieprofessor Song Du-Yul wurde vor zwei Jahren in Südkorea verhaftet - aufgrund dieses Gesetzes. Der Vorwurf: Spionage für Nordkorea. Nach drei Monaten kam er auf Bewährung frei und war seitdem nicht wieder in seiner Heimat.
Trotz dieser Erfahrung sieht Song Du-Yul Anzeichen für eine weitere Annäherung. Als bekannter Wissenschaftler konnte er am Rande von Austauschprogrammen seinen Onkel in Nordkorea besuchen. Seine Mutter, eine Bäuerin, hatte diese Gelegenheit nicht. "Es ist wichtig, dass die alten Menschen ihre Verwandten vor ihrem Tod noch sehen. Ich hoffe, dass auch einfache Leute das noch können."