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Griechenland braucht zweiten Schuldenschnitt

Rolf Wenkel29. Januar 2014

Trotz Haircut versinkt Griechenland erneut in der Schuldenfalle, aus der es ohne einen neuen Schnitt kein Entkommen gibt. Doch noch ist das ein Tabu bei den öffentlichen Gläubigern.

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Symbolbild Schuldenschnitt Griechenland (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Euro-Gruppe wird die nächsten Hilfskredite an Griechenland vorerst nicht freigeben, hat der Chef der Euro-Länder, der niederländische Finanzminister Jereon Dijsselbloem, am Montag (27.01.2014) in Brüssel angekündigt. Die Finanzminister warten immer noch auf den entscheidenden Prüfbericht der Troika, also den Vertretern von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Und die Troika wiederum wartet auf verlässliche Zahlen aus Athen. Denn was da zuletzt gemeldet wurde, war, milde gesagt, widersprüchlich.

So verweist die griechische Regierung gerne auf den sogenannten Primärüberschuss im Staatshaushalt von 691 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Diese Rechnung stellt die Einnahmen des Staates den Ausgaben gegenüber - ohne allerdings die Zahlungen für Zinsen und Tilgung der nach wie vor enormen Staatsschulden zu berücksichtigen. Experten sagen allerdings hinter vorgehaltener Hand, dieser fiktive Überschuss sei nur zustande gekommen, weil Athen in den letzten Wochen des alten Jahres einfach keine Rechnungen mehr bezahlt habe.

Zurück an den Kapitalmarkt?

Der Primärüberschuss ist jedoch eine Bedingung dafür, dass sich das Krisenland in diesem Frühjahr wieder selbst Geld an den Finanzmärkten leihen kann. Und das will Athen unbedingt, um wieder selbst über den Haushalt bestimmen zu können und sich aus der Umklammerung der ungeliebten Troika zu befreien. Der griechische Finanzminister will einen Test starten und eine drei bis fünf Jahre laufende Anleihe auflegen - obwohl er weiß, dass er damit ein Vielfaches an Zinsen zahlen muss, verglichen mit Krediten aus dem Rettungsfonds ESM. Der gibt Kredite nämlich mit 1,5 Prozent Zinsen praktisch zum Selbstkostenpreis weiter, weil er sich viel günstiger refinanzieren kann als Athen.

Jens Bastian freier Wirtschaftsberater (Foto: Bastian)
Jens Bastian: Ohne Schuldenkonferenz geht nichtsBild: Jens Bastian

Indes: Fachleute rechnen vor, dass Griechenland so oder so seine Schuldenlast in absehbarer Zeit nicht wird tragen können. "Der Anteil der Schulden an der Jahreswirtschaftsleistung steigt. Die Schulden steigen auch insgesamt im Volumen und Griechenland hat keine Möglichkeiten, das ist meine Sorge, diese Schulden aus eigener Kraft zurückzuzahlen", sagt Jens Bastian, ehemaliges Mitglied der Task Force for Greece der EU-Kommission, der seit 16 Jahren in Athen lebt.

Schuldenkonferenz gefordert

Tatsächlich steigen Griechenlands Schulden seit dem Haircut im Jahr 2012 wieder dramatisch an - auf zuletzt rund 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Beim ersten Haircut wurde Athen rund 110 Milliarden Euro bei den privaten Banken los. Doch nun liegt der größte Teil der Schulden in öffentlichen Händen und bei der Europäischen Zentralbank.

"Ein Land wie Griechenland zeigt uns, dass es aus den Schulden nicht heraus wachsen kann. Weder heute noch morgen. Sein Potentialwachstum ist viel zu niedrig nach einer fünfjährigen Rezession. Griechenland wird seine Schulden nicht bedienen können, auch wenn eine Verbreitung seiner Steuerbasis gelingt und die Steuerehrlichkeit zunimmt", sagt Jens Bastian zur DW.

Der langjährige Wirtschaftsberater ist deshalb überzeugt: "Wir brauchen eine internationale Schuldenkonferenz, ähnlich wie es 1952 in London eine internationale Schuldenkonferenz zu Deutschland gegeben hat. Sie müsste mit Griechenland beginnen, darf aber andere Länder wie Irland, Zypern, Portugal und Spanien, die alle unterschiedliche Rettungsprogramme haben, nicht ausschließen."

London Smog 1952
London 1952: Auch Deutschland hatte seinen SchuldenschnittBild: Central Press/Hulton Archive/Getty Images

Damals, 1952, war dem Kriegsverlierer Deutschland ein Teil seiner Schulden erlassen und die Restschuld auf einen langen Zeitraum gestreckt worden. Die stark unterbewertete D-Mark und rasche Exporterfolge trugen dazu bei, dass Deutschland diese Schulden bedienen und tilgen konnte. Die Schlussrate der Londoner Schuldenkonferenz hat Deutschland übrigens am 3. Oktober 2010 gezahlt, nach 57 Jahren.

"Das Geld ist längst weg"

Natürlich weiß Bastian, dass zur Zeit ein zweiter Schuldenerlass bei der Politik keine Chancen hat. Noch nicht. Doch spätestens, wenn das Land wieder die alten Schuldenstände vor dem ersten Haircut erreicht hat, werden auch die öffentlichen Gläubiger über einen Schuldenschnitt nachdenken müssen. "Ich weiß nicht, warum man sich so schwer damit tut", wundert sich zum Beispiel Oliver Landmann, Professor am Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung der Uni Freiburg. "Das Geld ist doch eh' längst weg."

Ein weiterer Schuldenschnitt erfordere kluge Finanzdiplomatie von allen Beteiligten und wäre an konkrete Auflagen und Bedingungen zu knüpfen, sagt Bastian. "Zum Beispiel, den begonnenen Reformprozess bei Strukturreformen in Griechenland fortzusetzen und diesen nachprüfbar und transparent zu machen." Für ihn ist die Verbreiterung der Steuerbasis in Griechenland und die Verbesserung der Steuerehrlichkeit eine der dringlichsten Aufgaben. "Wenn der Staat in der Lage ist, die Steuern, die ihm zustehen, auch einzutreiben, dann kommt Griechenland auf Sicht mehrerer Dekaden - und wir brauchen dafür ein großes Zeitfenster - in eine Situation, in der es seine Restschulden schrittweise zurückzahlen kann."