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Gropius Bau zeigt Schau von Dayanita Singh

Ulrike Sommer
22. März 2022

Dayanita Singh nutzt die Fotografie, um gesellschaftlichen Normen zu entkommen. Gerade wurde der Inderin der Hasselblad Award zugesprochen. Nun gastiert ihre Werkschau im Gropius Bau.

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Dayanita Singh im Gropius Bau, mit einem ihrer Bilder in der Hand
Dayanita Singh mit einem ihrer Fotos in der AusstellungBild: DW

Dayanita Singh strahlt. Eine große Werkschau im Berliner Gropius Bau, pünktlich zu ihrem 61. Geburtstag. Und nur wenige Tage zuvor: der Anruf aus Schweden, die 1961 in Neu-Delhi geborene Fotografin erhält den renommierten Hasselblad Award. Der nach dem schwedischen Kamera-Entwickler und -Hersteller Victor Hasselblad benannte Preis würdigt jedes Jahr eine Fotografin oder einen Fotografen für "bedeutende Leistungen".

Eine Hasselblad begleitet Dayanita Singh seit Jahrzehnten, sie sei längst ein Teil ihres Körpers geworden, sagt sie. Fotografie selbst ist für Dayanita Singh ein körperlicher Akt, ein Tanz mit der Kamera. Folgerichtig trägt die jüngst eröffnete Ausstellung im Gropius Bau den Titel "Dancing with my Camera". Das Motto bezieht zugleich die Besucher mit ein, die sich in dieser Schau immer wieder recken oder bücken müssen.

"Ausstellungen müssen lebendig sein"

Großformatige Fotos an der Wand sind die Ausnahme. Die meisten Aufnahmen hat Singh in den Raum geholt, in Gruppen zusammengeführt und in Teakholz gerahmt. Diese Konstruktionen bilden für sich kleine Museen - etwa "Museum of Chance" oder "Museum of Dance" - und lassen sich zu einem Paravent auf- oder zusammenfalten.

Dayanita Singh liegt auf einem Bett und fotografiert sich in einem Spiegel an der Decke.
Selbstporträt von 2013Bild: Selbstporträt im Spiegel/Pressebild

Fotografie wird erweitert zur Skulptur oder Architektur. So entstehen immer wieder neue Lesarten - auch weil Dayanita Singh die Abfolge der Bilder ständig verändert. "Ausstellungen müssen lebendig sein, denn so erlebe ich meine Arbeit", sagt sie. Die Fotografien selbst dienen ihr lediglich als Rohmaterial, die wie Filmstills erst in einer Abfolge neue Geschichten erzählen.

Singhs Karriere begann in den 1980er-Jahren. Als junge Fotografin begleitete sie den legendären Tabla-Musiker Zakir Hussain auf Konzertreisen. Bis heute ist sie mit ihm befreundet. "Ich kann nicht von den Menschen lassen, die ich fotografiert habe. Ich bleibe mit ihnen verbunden."

Studium in New York, Biennale in Venedig

Singh studierte in New York Dokumentarfotografie und Fotojournalismus. Ihre Arbeiten wurden bald darauf in der "New York Times" und der Londoner "Times" veröffentlicht. Zu ihren bislang größten Erfolgen zählt die Teilnahme an der Biennale in Venedig. 2013 war Dayanita Singh dort neben Ai Weiwei, Santu Mofokeng und Romuald Karmakar im deutschen Pavillon vertreten.

Aus einem Reportage-Auftrag wurde ein Lebensprojekt: Die Begegnung mit der Transgender-Person Mona Ahmed, die auf einem muslimischen Friedhof in Neu-Delhi lebte und 2017 starb, bewegt Dayanita Singh bis heute. "Mona war eine einzigartige Frau, sie ließ sich in keine gesellschaftliche Schublade stecken. Stellen Sie sich vor, Sie haben so jemanden in Ihrem Leben: Was für ein Vorbild!"

Die Fotografin Dayanita Singh sitzt auf einem Schwarzweiß-Bild zwischen Foto-Abzügen auf dem Boden.
"Ich spüre, dass ich dorthin gehöre": Dayanita Singh umrahmt von AufnahmenBild: Luca Girardini/Pressebild/Museumsinstallation

Dayanita Singh ist eine Meisterin des Lichts - davon zeugte 2013 das Projekt "File Room": eine sinnliche Reise in die Welt indischer Archive und ihrer geheimen Ordnung. Das Arbeiten in den Archiven, "diesem Raum voller Geschichten und Geheimnisse", sei für sie ein fast schon erotischer Moment, sagt die Fotografin. "Wahrscheinlich werde ich eines Tages beim Fotografieren in einem Archiv einfach tot umfallen. Ich spüre, dass ich dorthin gehöre."

Sie schlüpft in eine selbst entworfene Jacke, in der kleinformatige Foto-Leporellos stecken, kleine Faltbücher, jedes für sich ein Museum im Taschenformat. Jederzeit könne sie diese auf der Straße verkaufen, sagt sie und lacht verschmitzt. Unabhängig zu sein von Institutionen, vom Kunstmarkt, ist ihr wichtig. Schließlich war die Fotografie für die junge Dayanita Singh einst das Ticket zu Freiheit.

Eine Frau liegt auf einem Sofa.
Häufig zeigen Singhs Schwarzweiß-Aufnahmen Menschen aus der indischen MittelklasseBild: Luca Girardini/Pressebild/Museumsinstallation

Eigene Regeln geschaffen

"Es war ein Medium, in dem es damals keine anderen Frauen gab. Also konnte ich meine eigenen Regeln schaffen, wie ich leben wollte. Die Fotografie hat mich befreit von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen, die damals sehr präsent waren: zu heiraten, Kinder zu bekommen. Das sind sicher ganz wunderbare Dinge. Aber nicht für mich!"

Auf der Rückseite der Jacke steht der Spruch "My Life as a Museum". Leben und Kunst verschmelzen im Werk von Dayanita Singh, die im Herbst den Hasselblad Award entgegennehmen wird - verbunden mit einer neuen Ausstellung.

Die Ausstellung "Dancing with my Camera" ist bis zum 7. August 2022 im Berliner Gropius Bau zu sehen und zieht anschließend weiter nach München in die Villa Stuck.