Guinea-Bissau: "Volksfront" formiert sich gegen Präsidenten
9. August 2024Bissau, 31. Juli 2024: Die Journalistin Djuma Culubali von der privaten guinea-bissauischen Radiostation Capital FM soll für ihren Sender über eine Mahnwache von Lehrern berichten, die die Zahlung von ausstehenden Gehältern fordern. Doch die 19-jährige Reporterin kommt gar nicht dazu: Polizisten der schnellen Eingreiftruppe "Polícia de Intervenção Rápida" nehmen sie noch im Vorfeld der Veranstaltung fest und prügeln bis zur Bewusstlosigkeit auf sie ein.
"Ich war gerade dabei, Interviews mit den demonstrierenden Lehrern vorzubereiten. Plötzlich sah ich ein Polizeiauto mit hoher Geschwindigkeit auf uns zurasen. Es war ein Wunder, dass wir nicht alle von dem Auto erfasst wurden. Die Polizisten stiegen aus und fingen sofort an, auf uns einzuschlagen. Dann wurde es schwarz um mich herum", so Culubali, die anschließend im Zentralkrankenhaus von Bissau behandelt werden musste. Seitdem leide sie unter starken Kopfschmerzen und Lähmungserscheinungen im Gesicht, klagt sie gegenüber der DW.
Auch andere Journalisten wurden am selben Tag Opfer von Polizeigewalt. Andere hatten Glück und seien nur knapp und ohne größere Verletzungen den Angriffen der Polizisten entgangen. "Ein weiteres trauriges Kapitel der üblichen Polizeibrutalität gegen Medienvertreter in unserem Land", so das Fazit des Journalistenverbands Sinjotecs.
Tatsächlich sind Angriffe auf regierungskritische Journalisten in Guinea-Bissau an der Tagesordnung, vor allem seit einem angeblichen Putschversuch am 1. Februar 2022 gegen Staatspräsident Umaro Sissoco Embaló. Der Kreuzzug des Präsidenten gegen die demokratischen Institutionen des Landes gipfelte in der Auflösung des gewählten Parlaments im Dezember 2023. Seitdem regiert der ehemalige Brigadier-General Embaló das Land per Dekret an der Spitze einer von ihm selbst eingesetzten Regierung.
Vertreter der Zivilgesellschaft gründen "Volksfront"
In Sorge um die Demokratie haben sich Vertreter mehrerer zivilgesellschaftlicher Gruppen zu einer sogenannten "frente popular", einer "Volksfront", zusammengeschlossen. In den vergangenen Wochen meldete diese Organisation bereits mehrere Demonstrationen gegen das Regime des Präsidenten an. Das Ziel sei es, Sissoco Embaló klarzumachen, dass er abtreten und nicht für eine zweiten Amtszeit kandidieren sollte. Doch das Innenministerium verbot sämtliche Protestaktionen der "frente popular" und ließ sie gewaltsam von der Polizei unterbinden. An diesem Samstag (10.08.) wollen die Anhänger der "frente popular" erneut auf die Straße gehen. Doch auch diesmal erhielten sie dafür keine Genehmigung.
Eine Woche zuvor hatte die Polizei bereits die Durchführung einer Demonstration verhindert. Im Gespräch mit der DW versuchte der Generalsekretär der ebenfalls beteiligten Gewerkschaft UNTG, Júlio Mendonça, zu erklären, warum die Menschen allen Grund hätten, zu demonstrieren: "Heutzutage kann sich ein normaler Arbeiter in Guinea-Bissau nicht einmal einen Sack Reis kaufen", erklärte Mendonça. Die Kundgebung sei sogar beim Innenministerium angemeldet gewesen, sagt der Koordinator der "Volksfront", der Journalist Armando Lona. Weshalb die Polizei sie verhindert habe, sei "unverständlich".
Embaló lässt Opposition juristisch verfolgen
Präsident Sissoco Embaló wurde im Dezember 2019 in einer Stichwahl gegen seinen Erzrivalen Domingos Simões Pereira zum Präsidenten Guinea-Bissaus gewählt. Inzwischen ist Präsident Sissoco Embaló politisch ziemlich isoliert: Sogar ein Großteil seiner eigenen Partei MADEM G15 ist auf Distanz zu ihm gegangen.
Jetzt beauftragte der Präsident die von ihm kontrollierte Justiz des Landes, gegen seinen Hauptrivalen juristisch vorzugehen: Der Abgeordnete Domingos Simões Pereira habe zehn Tage Zeit, sich bei der Generalstaatsanwaltschaft zu melden, so das Justizministerium in einem am Dienstag (06.08.) veröffentlichten Erlass. Die Staatsanwaltschaft verlange die Aufhebung seiner Immunität, um ihn über einen Fall mutmaßlicher Korruption zu befragen.
Simões Pereiras Verteidiger kontern, die konkreten Vorwürfe seien bereits juristisch untersucht worden - ein Berufungsgericht habe den Fall 2018 eingestellt.
Damit ein Verfahren gegen den Hauptrivalen des Präsidenten wieder aufgenommen werden könne, müssten neue Fakten vorliegen. Der nicht in den Fall involvierte Jurist Victor Fernandes kritisiert, dass eine Vorladung per Erlass nicht rechtens sei, solange die Immunität des Abgeordneten aufgehoben wurde. Er glaubt, dass Präsident Sissoco Embaló "seine Felle davonschwimmen sieht" und deshalb jetzt seinen Hauptkonkurrenten mittels der von ihm gelenkten Justiz beiseite räumen wolle.
Präsident droht Journalisten: In anderen Ländern werdet ihr erschossen
Präsident Sissoco Embaló, dem Beobachter für seine ersten vier Amtsjahren außenpolitisch durchaus einige Erfolge zugestehen, will nun auch in der nationalen Medienöffentlichkeit Punkte gutmachen: Anfang August lud er deshalb alle Journalisten des Landes zu einer "Diskussionsrunde" ein, bei der die Journalisten ihre Kritiken äußern dürften, aber auch "deutliche Antworten" des Präsidenten erwarten müssten.
Tatsächlich entschied sich der Präsident von Guinea-Bissau, den Journalisten an jenem Montag mehr als drei Stunden lang Vorwürfe zu machen: Guinea-Bissau sei im portugiesischsprachigen Afrika "das einzige Land, in dem Journalisten den Präsidenten der Republik beleidigen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. In anderen Ländern, wie in Angola, Mosambik, Kap Verde oder São Tomé und Príncipe, werden solche respektlose Journalisten auf der Straße erschossen", behauptete der guineische Staatschef und fügte hinzu: "Wenn ihr Journalisten euren Präsidenten beleidigt, ist das keine Schande für mich, sondern es fällt auf euch selbst zurück."
Der Leiter der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) für Subsahara-Afrika, Sadibou Marong, bewertet den Zustand der Pressefreiheit in Guinea-Bissau ganz anders: "Die Situation der guinea-bissauischen Journalisten ist dramatisch. Der Präsident der Republik legt ein desaströses Verhalten gegenüber den Medien an den Tag", erklärt Marong im DW-Interview. Das müsse sich dringend ändern.
Mitarbeit: Iancuba Dansó in Bissau