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Gute Zeiten für somalische Piraten

Dennis Stute28. September 2005

Piraten haben ein gekapertes Schiff mit Hilfsgütern benutzt, um vor Somalias Küste ein zweites Schiff zu entern. Die Seeräuberei blüht überall dort, wo staatliche Strukturen zusammenbrechen.

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Die "Jolly Marrone" entkam im Juli Seeräubern vor Somalia nur knappBild: AP
bewaffnete Milizen/Warlords in Somalia
Nach dem Zusammenbruch des Zentralstaats wird Somalia von Milizen und Warlords regiertBild: AP

Zumindest weiß er wieder, wo die gekaperten Schiffe sind. Sie lägen etwa 50 Kilometer vor Haradere, einem kleinen Küstenort in der Nähe von Somalias Hauptstadt Mogadischu, sagt Peter Smerdon, Vertreter des Welternährungsprogramms der UNO (WFP) in Nairobi. Das herauszufinden, hat ihn den halben Dienstag (27.9.2005) gekostet; am Ende berichteten Bewohner von Haradere am Telefon, sie könnten die beiden Frachter sehen.

50 schwer bewaffnete Entführer

Seit Ende Juni schon bemüht sich das WFP, die von Piraten gekaperte "Semlow" freizubekommen, die 850 Tonnen Reis für Tsunami-Opfer nach Somalia bringen sollte. "Jetzt ist die Situation noch komplizierter geworden", sagt Smerdon. Denn wie am Montag bekannt wurde, benutzten die 50 schwer bewaffneten Entführer vergangene Woche das WFP-Schiff, um ein weiteres Schiff zu entern.

Ein somalischer Geschäftsmann, für den ein Teil des geladenen Zements der jetzt gekaperten "Ibnu Batuta" bestimmt war, erklärte gegenüber dem britischen Sender BBC, dass er über Funk von den Seeräubern kontaktiert worden sei: "Die Entführer haben uns mit dem Kapitän sprechen lassen, der bestätigt hat, dass die Besatzungsmitglieder als Geiseln genommen wurden." Wie viele Seeleute an Bord sind, ist noch nicht bekannt.

Jagt auf Piraten in der Straße von Malakka
Polizeipatrouille in der Straße von MalakkaBild: AP

Wie es der Besatzung der "Semlow" gehe, wisse derzeit niemand, sagt Peter Smerdon. Zuletzt habe das WFP in der vergangenen Woche Kontakt mit den zehn Männern aus Kenia, Tansania und Sri Lanka gehabt. Nach Verhandlungen zwischen Klanführern, der machtlosen somalischen Regierung und dem WFP war den Entführern freies Geleit zugesichert worden; die Piraten erklärten sich daraufhin bereit, das Schiff in den Hafen von El-Maan in der Nähe von Mogadischu zu bringen. Dort hätten die Männer, die zunächst 500.000 Dollar verlangt hatten, erneut ein Lösegeld gefordert, sagt Smerdon. Als sie damit nicht durchkamen, fuhren sie wieder aufs Meer.

Schnell fahren und nicht funken

Die Gewässer vor Somalia, das seit 14 Jahren keine Regierung hat und von Warlords beherrscht wird, gehörten inzwischen zu den gefährlichsten der Welt, sagt Jayant Abhyankar, stellvertretender Direktor des internationalen Schifffahrtsamtes (IMB) in London. Allein zwischen März und August 2005 seien dort 15 gewalttätige Angriffe von Piraten gezählt worden - im gesamten Vorjahr waren es nur zwei gewesen. Das IMB rate daher, mindestens 280 Kilometer Abstand zur östlichen und nordöstlichen Küste Somalias zu halten und den Funkverkehr auf ein Minimum zu beschränken.

Piraten geben ihre Geiseln wieder frei - Thailand
Ein vor den Phillipinen aufgebrachtes Piratenschiff (1996)Bild: AP

Weltweit hat sich die Lage jedoch etwas entspannt. So zählte das IMB im vergangenen Jahr 325 Zwischenfälle und damit deutlich weniger als 2003, als es noch 445 waren. Allerdings gingen die Piraten brutaler vor: Die Zahl der getöteten Besatzungsmitglieder stieg im gleichen Zeitraum von 21 auf 30.

Ein Grund für den Rückgang der Piraterie sei der so genannte ISPS-Code, den die Internationale Schifffahrtsorganisation IMO im Jahr 2004 herausgab, glaubt Jayant Abhyankar. Das Regelwerk soll Schiffe und Hafenanlagen vor terroristischen Angriffen schützen, indem es beispielsweise vorschreibt, dass auf Passagierschiffen und Frachtschiffen ab einer bestimmten Größe Sicherheitsoffiziere an Bord sein müssen.

Vage Hoffnung auf Druck durch Clans

Polizeiboote in der Straße von Malakka
Zwei malaysische Polizeiboote in der Straße von MalakkaBild: AP

Gegen Piraterie könnten die Besatzungen jedoch letztlich wenig tun, erklärt Hans-Hans-Heinrich Nöll Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR): "Piraterie tritt dort auf, wo Staaten ihre Aufgaben nicht erfüllen können." Das Problem stelle sich auch in der berüchtigten Straße von Malakka: "Singapur ist ein funktionierender Staat, aber sehr klein und in Indonesien und Malaysia ist die staatliche Kontrolle nicht überall gegeben." In der Meerenge gab es 2004 insgesamt 130 Überfälle von Piraten, die dort mit Schnellbooten auf Handelsschiffe lauern.

Wie sich der Zusammenbruch staatlicher Ordnung auswirkt, zeigt auch das Beispiel Irak: Während es dort jahrelang keinerlei Piraterie gab, wurden allein seit April fünf Überfälle auf Öltanker vor der südlichen Hafenstadt Basra gezählt. Bei "Nicht-Staaten" wie Somalia sei die Situation am schwierigsten, sagt Nöll.

Peter Smerdon vom WFP hat dennoch die vage Hoffnung, dass die Besatzung der "Semlow" wieder frei kommt und der von Japan und Deutschland gespendete Reis sein Ziel erreicht. Denn auch wenn die zweite Entführung die Situation verkompliziert habe, könne sie sich auch positiv auswirken. Denn die Ladung der "Ibnu Batuta" sei für somalische Geschäftsleute bestimmt gewesen, weshalb nun innerhalb der alles beherrschenden Klanstrukturen Druck ausgeübt werden könnte: "Das Ganze ist jetzt zu einem ernsten Geschäftsstreit geworden."