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Haltern im Herbst

Jan D. Walter20. Oktober 2015

Sieben Monate nach dem Absturz des Germanwings-Flugs hat Angela Merkel Haltern besucht. Aus der Kleinstadt kamen 18 der 150 getöteten Insassen. Im Gespräch mit Hinterbliebenen traf die Bundeskanzlerin den richtigen Ton.

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Deutschland, Gedenkfeier im Schulhof des Joseph-König-Gymnasiums Haltern
Bild: DW/J. D. Walter

Es ist etwas milder in Haltern am See als Ende März. Statt eisigem Regen, der damals direkt in die Knochen zu sickern schien, gibt heute ein herbstlicher Dunst den passenden meteorologischen Rahmen: Die bedrückende Stimmung der Tage nach dem Absturz von Germanwings-Flug 9525 ist der tristen Beschaulichkeit eines Naherholungsortes bei schlechtem Wetter gewichen.

Von Normalität könne jedoch weiterhin keine Rede sein, sagt Bürgermeister Bodo Klimpel. Das Ereignis vom 24. März sei nach wie vor präsent: 18 der 150 Menschen, die bei dem Absturz ihr Leben verloren, waren Mitglieder der ländlichen Gemeinschaft zwischen Ruhrgebiet und Münsterland. 16 Jugendliche und zwei Lehrerinnen - ein Spanischkurs des Joseph-König-Gymnasiums, der auf der Rückkehr von einem Schüleraustausch nahe Barcelona war - saßen in dem Flugzeug, das nach offiziellen Ermittlungen der Copilot in Selbstmordabsicht in eine Felswand der französischen Alpen gesteuert hatte.

Öffentliche Anteilnahme

Welche Bedeutung es hat, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Herbsttag gekommen ist, um mit Eltern, Geschwistern und Freunden der Verunglückten zu sprechen, ihnen zu kondolieren, an der Gedenktafel mit den Namen der Fehlenden innezuhalten, Blumen niederzulegen?

Angela Merkel Deutschland Haltern Gymnasium Besuch German Wings Gedenken
Eine Gedenktafel erinnert an die VerstorbenenBild: picture-alliance/dpa/R. Pfeil

Das spiele durchaus eine Rolle, beteuert Schulleiter Ulrich Wessel: "Dass sie sich die Zeit nimmt, bestätigt die große Anteilnahme, die wir seitens der Öffentlichkeit erleben." NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann, die Merkel an diesem Tag nach Haltern begleitet, sei schon mehrfach da gewesen. Auch von Vertretern der Lufthansa habe er nichts als ehrliche Betroffenheit und Unterstützung erfahren, sagt Wessel. Das gebe durchaus Kraft, das tragische Ereignis aufzuarbeiten.

Wo die Grenzen dieser Unterstützung liegen, erklärte Merkel selbst in einer kurzen Ansprache an die versammelten Schüler und Lehrer des Gymnasiums: "Frau Löhrmann und die Landesregierung, aber auch die Bundesregierung versuchen Ihnen mit allem, was möglich ist, zu helfen. Das Leben gestalten kann man aber nur hier vor Ort - gemeinsam, indem jeder jeden wahrnimmt, auf seine Gefühle eingeht und Verständnis zeigt."

Schüler empfangen Merkel

Vor allem aber zeigt sich die Bundeskanzlerin beeindruckt davon, wie "wunderbar gestaltet" die Erinnerung sei: "Mir ist klar geworden, mit wie viel Liebe, Mitgefühl und Gefühl überhaupt diese Schule mit dem schrecklichen Ereignis umgeht und versucht, damit fertig zu werden."

Diesen Repekt habe Merkel auch den Freunden und Geschwistern der Unglücksopfer während einer persönlichen Unterredung entgegengbracht, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper. Die Trauerbegleiterin leitet eine Gruppe, in der sich alle zwei Wochen betroffene Jugendliche aus Haltern treffen. Gleich nach dem Treffen mit Merkel hatten einige von ihnen Schroeter-Rupieper berichtet, wie nahbar die Kanzlerin sich gegeben hätte.

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Angela Merkel mit Schuldirektor Ulrich Wessel (rechts)Bild: picture-alliance/dpa/R. Pfeil

"Ich hatte die Befürchtung, Merkel würde sich vor sie stellen und ihr Mitleid bekunden", gibt Schroeter-Rupieper zu, "Leid hat man als Trauernder genug, da braucht man nicht noch Mitleid. Was hilft, ist reden." Und genau das habe Merkel den Jugendlichen offenbar angeboten. "Sie hat sich mit den Jugendlichen in einen Stuhlkreis gesetzt, Fragen gestellt, nach Worten gerungen und ihnen Anerkennung gezollt", gibt Schroeter-Rupieper die Berichte der Jugendlichen wieder.

Ein langer Prozess

Letztlich werde der Besuch der Kanzlerin sicher nur ein kleiner Baustein in der Aufarbeitung des unendlichen Verlustes sein, sagt die Trauerbegleiterin. Wie so etwas letztlich wirkt, das könne man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sagen.

Ohnehin sei es höchst individuell, wie Menschen mit ihrer Trauer umgehen. Während einige Schüler sich von der massiven Medien-Präsenz in Haltern unmittelbar nach dem Absturz am Trauern gehindert fühlten, sagt Schroeter-Rupieper, würden sich andere Hinterbliebene geradezu wünschen, dass ihr Verlust öffentliches Interesse erfahre. Mindestens zwei Jahre wollen sie und ihr Verein "Lavia - Institut für Familientrauerbegleitung" das Angebot an die Halterner Jugendlichen noch aufrecht erhalten.

Trauerreise geplant

Auch Schulleiter Wessel engagiert sich weiterhin dafür, dass Hinterbliebene und die Schulgemeinschaft ihre Verluste aufarbeiten können: Kürzlich noch hat Wessel ein Elternpaar an den Absturzort in Seyne-lès-Alpes begeleitet. Im Mai 2016 will er den Jugendlichen der betroffenen Stufe elf eine Reise dorthin anbieten: "Sie haben ja teilweise ihre besten Freundinnen und Freunde verloren." Kontakte zu einem kleinen Collège dort habe er bereits aufgebaut, eine Wanderung mit Blick auf die Absturzstelle sei geplant.

Und dann? Ein Gedenkraum im Schulgebäude werde mindestens so lange zur Verfügung stehen, bis der betroffene Jahrgang Abitur gemacht hat, erklärt Wessel. Die Gedenktafel, die 18 Zierkirschen, die für die Toten stehen - sie werden ohnehin bleiben und an das erinnern, was nach den Worten des Schulleiters ein "unauslöschlicher Teil der Schulgeschichte sein wird."