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Sparen wir uns zu Tode?

Rolf Wenkel
8. August 2017

Deutschlands Überschüsse in der Leistungsbilanz stehen am Pranger. Eine Analyse zeigt: Das liegt nicht nur an den schönen Maschinen und Autos, die wir exportieren, sondern auch an unserer Sparsamkeit.

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Dagobert Duck
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN

Wenn man's genau nimmt, verstoßen deutsche Politiker und Wirtschaftslenker bereits seit Jahren gegen ein Gesetz aus dem Jahr 1967, nämlich gegen das "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft", im alltäglichen Gebrauch kurz "Stabilitätsgesetz" genannt. Darin wird als Staatsziel ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht formuliert, in dem bitteschön stabile Preise, Vollbeschäftigung, ein stetiges und angemessenes Wachstum und ein Gleichgewicht im Außenhandel anzustreben seien.

Nun weiß jeder, dass es mit dem Gleichgewicht im Außenhandel nicht weit her ist - im Gegenteil. Der hohe deutsche Leistungsbilanzüberschuss steht zunehmend im kritischen Fokus internationaler Institutionen wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission, die Deutschland deswegen seit 2014 im Rahmen eines so genannten Ungleichgewichtsverfahrens überwacht. Die massive Kritik von US-Präsident Donald Trump und die etwas moderateren Töne des französische Staatspräsidenten Emmanuel Macron haben die Diskussion zuletzt erneut befeuert.

Mit der Androhung hoher US-Importzölle auf deutsche Produkte, insbesondere auf deutsche Autos, gerät ein zentraler Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft akut in Gefahr. Grund genug für die Volkswirte der staatlichen KfW-Bankengruppe, "sich mit den Treibern der Überschüsse genauer auseinanderzusetzen und ernsthaft nach Wegen zu suchen, wie Deutschland aus dem Rampenlicht genommen werden kann", wie es ein einer am Dienstag veröffentlichten Analyse der KfW heißt.

Unfair und schädlich?

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss beträgt aktuell rund 261 Milliarden Euro - und ist damit absolut gesehen vor China der höchste weltweit. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), der jährlichen Wirtschaftsleistung also, entspricht dies einem Wert von 8,3 Prozent. Damit liegt der Überschuss seit 2011 ununterbrochen über dem Schwellenwert der Europäischen Kommission, die höchstens sechs Prozent des BIP für erträglich hält.

Auch Donald Trump reiht sich in die Reihe prominenter Kritiker der deutschen Überschüsse ein, indem er sie als "unfair und schädlich" für sein Land bezeichnet. Trumps Kritik stammt aus einem merkantilistischen Weltbild, nach dem sich ein Land mit einem Handelsüberschuss auf Kosten eines anderen bereichert, der Handel also ein Nullsummenspiel ist.

Demgegenüber liegt den Empfehlungen der Europäische Kommission und des IWF die Überzeugung zu Grunde, dass ein sehr hoher Leistungsbilanzüberschuss auch für das Land selbst, das ihn erwirtschaftet, nachteilig sein kann - "ein sehr bedeutender Unterschied in der Diagnose mit erheblichen Implikationen für die angemessene Therapie", schreiben die KfW-Volkswirte.

Handelsbilanz ist nicht alles

Um zu verstehen, was dran ist an dieser Kritik, sollte man die Begriffe "Handelsbilanz" und "Leistungsbilanz" auseinander halten. Denn der Außenhandel, also die Ex- und Importe, sind nur ein Teil der Leistungsbilanz. Die umfasst nämlich noch die grenzüberschreitenden Dienstleistungen, also zum Beispiel die Ausgaben deutscher Touristen im Ausland, grenzüberschreitende Kapitalströme aus Löhnen, Gewinnen, Beteiligungen, Investitionen, aber auch die Überweisungen ausländischer Arbeitskräfte in ihre Heimat oder Zahlungen im Rahmen der Entwicklungshilfe.

Deshalb ist gar nicht so eindeutig, was denn den deutschen Überschuss in der Leistungsbilanz genau ausmacht. Einig sind sich Experten, dass es nicht nur an der Beliebtheit der deutschen Waren im Ausland liegen kann. Sie verweisen auch regelmäßig auf die hohe Sparneigung der Deutschen und die sehr zurückhaltenden Lohnforderungen der Gewerkschaften, die die Binnennachfrage nach Gütern aus dem In- und Ausland dämpfen.

Andere wie zum Beispiel Finanzminister Wolfgang Schäuble führen den Wechselkurs des Euro an, der für die starke deutsche Wirtschaft viel zu niedrig ist, und so die Nachfrage nach deutschen Gütern im Ausland antreibt. Die Europäische Zentralbank müsse nun mal eine Geldpolitik für alle Euro-Mitglieder machen, argumentiert Schäuble - und reicht so den Schwarzen Peter an andere weiter.

Zu wenig Investitionen

Wieder andere verweisen darauf, dass die Wirtschaft hierzulande viel zu wenig investiert - sie bleibt auf ihren liquiden Mitteln sitzen oder legt sie im Ausland an. Und der Staat nutze seine Überschüsse nicht genug, um seinerseits mehr in Straßen, Schulen oder schnelleres Internet zu investieren. Das war einmal anders. Anfang der 1990er Jahre, als es um den enormen Nachholbedarf in Ostdeutschland ging, wurde Deutschland vorübergehend sogar zum Nettokapitalimporteur. Doch als dieser Bedarf weitgehend befriedigt war, "wechselten Staat und Unternehmen die Seiten", schreiben die KfW-Volkswirte, wurden also zu Nettosparern.

"Grundsätzlich spiegelt der Leistungsbilanzüberschuss einen hohen Überschuss der deutschen Ersparnis über die - relativ niedrigen - inländischen Investitionen", schreiben die Experten der KfW-Bankengruppe. Deutschland verwende einen erheblichen Teil seines nicht konsumierten volkswirtschaftlichen Einkommens für den Aufbau von Geldkapital im Ausland anstelle von Realkapital im Inland.

Gleichzeitig brauche Deutschland jedoch dringend Investitionen in einen modernen und leistungsfähigen Produktionsapparat, um seinen demografisch bedingten Abwärtstrend und damit seinen materiellen Wohlstand wirkungsvoll absichern zu können. Der Überschuss lässt sich also auch im deutschen Interesse abbauen -"allerdings über mehr inländische Investitionen und Importe und nicht über eine wachstumsfeindliche Drosselung der Exporte", so das Fazit der KfW-Analyse.