Hat Emmanuel Macron sich verspekuliert?
3. September 2018La rentrée. Zwei kleine Worte und doch ein großes Ritual, dass alljährlich ganz Frankreich erfasst. Die Rückkehr in den Alltag signalisiert gleichermaßen Ende und Aufbruch. Die süße, träge Sommerzeit ist unwiderruflich vorbei, die Franzosen kehren von der Küste in die Mitte des Landes zurück. Viele Geschäfte öffnen nach langer Pause wieder, die métros füllen sich auf ein Neues mit Pendlern und jeder französische écolier, jeder Schüler von Lille bis Aix-en-Provence, tritt zum neuen Schuljahr an.
Innenpolitische Schönheitsfehler häufen sich
Vorbei auch die politische Milde, mit der die Franzosen ihrer Regierung in den Sommermonaten entgegentreten. Mit frischer Schärfe verfolgt die Nation die Politik aus dem Elysée.
Zu spüren bekommt dies vor allem Emmanuel Macron. Seine Sommerzeit war mitnichten süß und träge, der Präsident kämpfte sich mehr schlecht als recht durch einen für ihn innenpolitisch stürmischen Sommer. Angefangen mit der Affäre um einen seiner Sicherheitsbeamten, Alexandre Benalla. Dass der als Angestellter des Elysées auf der Straße gewalttätig werden konnte ohne harte Konsequenzen zu erfahren, empörte die Franzosen quer durch Politik und Gesellschaft.
Auch das zähe Krisenmanagement der sogenannten "Affaire Benalla" wird Präsident Macron angekreidet: erst Schweigen und Aussitzen, dann nur kosmetische Sanktionen. Nach Ansicht des Politikexperten Jerôme Sainte-Marie vom Meinungsforschungsinstitut PollingVox in Paris zeigt dies einmal mehr den autoritären Stil von Macron, der ihn unter anderem auch in den Umfragen abstürzen lässt.
Die Schonzeit sei vorbei, "viele Wähler beobachten ihren Präsidenten nun mit wachsendem Argwohn, das ist neu", so Sainte-Marie.
Laut einer jüngsten Umfrage des Meinungsinstituts BVA sind 59 Prozent der Franzosen unzufrieden mit ihrem Präsidenten. Für Macron beunruhigend: Kritik kommt laut der Studie nicht nur seitens der politischen Gegner. Auch Dreiviertel seiner Wählerschaft sind enttäuscht. Harte Hand in der Gewerkschaftspolitik, Kürzungen beim Wohngeld, Einschnitte bei den Eisenbahnern; vielen, die den 40-Jährigen auch mit linken Hoffnungen gewählt haben, so Sainte-Marie, sei Macron zu liberal, zu rechts.
Europäische Charmeoffensive zündet nicht
Dass jetzt auch noch Nicolas Hulot, Macrons Star-Minister für Umwelt und Nachhaltigkeit hinschmeißt, schwächt den Präsidenten, der gerade quer durch Europa reist.
Emmanuel Macron hat bereits 16 EU-Staaten besucht, zuletzt Dänemark und Finnland. Ziel und Zweck dieser umfassenden Europatour sind für ihn so wichtig wie schwierig. Rechtzeitig vor den Europawahlen im Mai 2019 will er die Wählerschaft in ganz Europa gewinnen. Von links, der Mitte, von rechts. Sein politischer Ehrgeiz: Europa in ein Lager der Nationalisten und der "Progressiven" zu teilen.
Macron will, so betont der Analyst Bruno Cautrès von der Denkfabrik Cevipof gegenüber der DW, vor allem die europäische Rechte spalten. Um letztlich mit seiner Partei Republique en Marche (REM) "als einzig wählbare Alternative zu erscheinen" und seinen Wahlerfolg auf europäischer Ebene zu wiederholen.
Europas Rechte organisiert sich
Doch der französische Präsident ist längst nicht so auf dem Durchmarsch in Europa wie er ursprünglich wollte. Im Gegenteil beobachten Experten wie Olivier de France vom Thinktank IRIS dass sich der neue, starke Widerstand auf europäischer Ebene verfestigt. Zusammen mit Tschechien und Österreich pflegt der ungarische Premier Viktor Orban schon geraume Zeit einen euroskeptischen, scharfen Ton.
Dass nun auch Italien, ein Gründungsstaat der EU, den Schulterschluss mit Orban sucht, macht den ungarischen Premier salonfähig. Auch das liberale Schweden rechnet mit einem deutlichen Rechtsruck bei den anstehenden Wahlen Anfang September. "Emmanuel Macron begegnet hier nicht mehr nur ein paar Pöbelstaaten sondern einer neuen Haltung in Europa", so der Cevipof-Experte Cautrès.
Viele Gleichgesinnte hat er derzeit nicht. Mit Merkel trifft sich Macron an diesem Donnerstag in Paris. Die deutsche Kanzlerin gilt zwar als sichere Partnerin. Zusammen wollen sie Reformideen wie die gemeinsame Verteidigung für die EU vorantreiben.
Doch letztlich, so ist Cautrès überzeugt, wird sich der politische Erfolg der Parteifamilien in Europa an der Migrationsfrage entscheiden. Deshalb, so Cautrès, dürfe die EU nicht erstaunt sein, wenn bei den Europawahlen nicht Macrons Partei REM große Erfolge feiert, sondern, anders als bei den französischen Präsidentschaftswahlen, der frisch umbenannte Front National "ein sehr gutes Ergebnis einfährt".