Herzog: "Mehr Respekt vor Älteren"
1. April 2015Das Youtube-Video wurde mehrere Hunderttausend Mal angesehen, bevor es vom Videoportal verschwand. Darin beschreibt der Teenager Amos Yee Singapurs Staatsgründer Lee Kuan Yew als "schreckliche Person". Lee sei ein Diktator gewesen, der einen autoritären Staat mit extremer Ungleichheit gegründet habe. Yee zieht außerdem Vergleiche zwischen Lee und Jesus Christus. Seine Wortwahl ist zum Teil derb und verletzend.
Am Tag des Staatsbegräbnisses für Lee (29.03.2015) wurde Yee verhaftet. Die offizielle Anklage lautet Obszönität und Verletzung religiöser Gefühle. Zugleich wurde bekannt, dass der 16-jährige Yee sich als Erwachsener vor Gericht verantworten muss.
Ihm droht jetzt eine Geldstrafe von mehr als 13.000 Euro und sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren. Die Gerichtsverhandlung ist für den 17. April angesetzt. Gegen eine Kaution von umgerechnet 14.000 Euro ist Yee nun vorerst auf freiem Fuß.
Deutsche Welle: Herr Herzog, wie beurteilen Sie das Video? Sehen Sie strafrechtlich relevante Aussagen in diesem Video?
Siegfried Herzog: Das Video ist in der Tat eine ziemlich rabiate Abrechnung mit Lee Kuan Yew, in dem an obszönen Schimpfworten kein Mangel ist. Das ist wohl strafrechtlich relevant in Singapur, denn es gibt dort sehr strenge Gesetze gegen Beleidigung, die auch immer wieder gegen Oppositionelle instrumentalisiert wurden.
Noch problematischer ist aus rechtlicher Sicht, dass Amos Yee in ziemlich aggressiver Weise über das Christentum herzieht. Singapur ist ein Vielvölkerstaat mit einer Geschichte von ethnischen Unruhen in den 60er Jahren. Die Regierung hat seither großen Wert darauf gelegt, innerethnische Konflikte zu minimieren. Da diese sich oft an religiösen Themen entzünden, ist die Herabwürdigung anderer Religionen verboten. Da bietet das Video in der Tat rechtliche Angriffsflächen.
Dem 16-jährigen Teenager soll nun in Singapur nach Erwachsenenrecht der Prozess gemacht werden. Wie ist das in Singapur, einem demokratischen Land, möglich?
Das politische System Singapurs hat bekanntlich einige autoritäre Züge. Wahlen sind zwar frei, aber die Opposition wird durch vielfältige Einschränkungen an effektiver Kommunikation gehindert und auch die Presse unterliegt zahlreichen Restriktionen.
Das Strafrecht ist in vielen Bereichen deutlich strenger als in westlichen Demokratien. Dazu gehört auch die Möglichkeit, einen Teenager nach Erwachsenenrecht zu behandeln. Das erscheint in der Tat übermäßig streng. Auf den emotionalen Ausbruch eines Teenagers sollte man nicht dermaßen hart reagieren. Das wissen bei uns die meisten Eltern von Teenagern.
Hier kommt aber wohl auch ein kultureller Aspekt ins Spiel. In Deutschland wird Teenagern eher erlaubt, sich an Autoritäten abzuarbeiten, wobei das auch noch nicht so lange der Fall ist. In Asien wird von jungen Leuten deutlich mehr Respekt vor Älteren erwartet. Vor diesem Hintergrund können viele Menschen in Singapur eine derartige Schimpftirade nicht als Überreaktion eines Teenagers betrachten. Sie finden das vielmehr zutiefst empörend. Bezeichnenderweise haben sich ja auch seine Eltern öffentlich für ihn entschuldigt.
Sind die Verhaftung und die Anklage politisch motiviert?
Eine Anklage wegen Volksverhetzung und Beleidigung des Staatsgründers hat natürlich automatisch eine politische Dimension - wie ja auch die strengen Gesetze gegen Volksverhetzung aus einem politischen Impuls entstanden sind. Es wäre aber umgekehrt problematisch, den Fall nur auf Politik zu reduzieren. Wie schon erwähnt, gibt es auch eine Reihe von anderen Gründen, warum dieses Video in Singapur für Ärger sorgt.
Wie beurteilen Sie insgesamt die Meinungsfreiheit in Singapur?
Meinungsfreiheit ist sicherlich der Teil der demokratischen Freiheiten, der in Singapur eher schwach ausgebildet ist. Einschränkungen der Medien und die Drohung mit Verleumdungsklagen lassen jeden zweimal überlegen, was man öffentlich sagen kann. Das ist in den letzten Jahren etwas besser geworden. Es besteht die Hoffnung, dass sich hier in Zukunft das System noch mehr öffnet. Aber derzeit bleibt die Situation schwierig für das freie Wort.
Siegfried Herzog leitet das Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für Südost- und Ostasien.
Das Gespräch führte Rodion Ebbighausen.