Hindu-Tempel in Berlin: "Wir warten auf die Götter"
29. August 2023Man darf sich Vilwanathan Krishnamurthy als einen glücklichen Menschen vorstellen. Vor bald 20 Jahren begann der nun 70-Jährige sein ehrenamtliches Engagement für den Bau eines hinduistischen Tempels in Berlin. Und nun steht er stolz in der Spätsommersonne und zeigt auf den Neubau, erläutert die Farben und die Materialien. Im November, so hofft er, soll es das große, sechstägige Fest zur Eröffnung des Tempels geben. "Wir warten auf die Götter", sagt er lächelnd.
Knapp 20 Jahre - das ist selbst für ein Bauprojekt in Berlin eine lange Zeit. Aber sie erzählt auch viel darüber, wie aus sogenannten Gastarbeitern irgendwann Berliner wurden und warum die deutsche Hauptstadt religiös bunter wird.
Krishnamurthy schildert der Deutschen Welle, wie er vor fast 50 Jahren mit seiner Frau nach West-Berlin kam und beim damaligen Elektrokonzern AEG Arbeit fand, "für drei Mark die Stunde" (das wären heute rund 1,50 Euro). Damals gründete er einen Verein zum Bau eines Tempels. Dieser Tempel, sagt er, "ist für mich ein Traum. Zuhause kann ich als Hindu auch alles feiern, aber da kann ich es nicht mit anderen Leuten feiern. Es braucht einen Platz, um mit anderen Menschen, mit Freunden zu feiern und auch Freude daran zu haben."
Deutsche Vorschriften
Seit 2004 ist der Verein zum Bau des "Sri-Ganesha-Hindu-Tempels" aktiv. Bald bot das Bezirksamt dem Verein das Grundstück am Rand der Hasenheide an, einem Park zwischen den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof. "Ein Gottesgeschenk", sagt der Hindu. Zunächst sollten die Arbeiten 2007 losgehen, dann 2010. Es gab mehrere Grundsteinlegungen; diverse Termine wurden für den Abschluss der Arbeiten angepeilt. Aber lange fehlte das Geld. Krishnamurthy kann in seinem sympathischen, indisch durchgefärbten Deutsch vom Bauen in Deutschland erzählen: Vorschriften, Genehmigungsverfahren, Terminfristen, Finanzierungskonzepte.
Der nun fast fertige Tempel - der Vereinschef erzählt es ohne Klage - entstand allein aus Eigenmitteln. "Wir stemmen das mit unseren eigenen Spenden. Es gab keine Unterstützung vom Berliner Senat, vom Bezirksamt oder der Bundesebene. Das kann ich auch verstehen." Krishnamurthy weiter: "Wir wollten keinen Tempel auf Kredit bauen. Dann hätten das unsere Nachfahren irgendwann zurückzahlen müssen. Wir sind also angewiesen auf Spenden."
An diesem Punkt trifft dann die kleine Kreuzberger Geschichte auf die große Weltwirtschaft in Hightech-Zeiten. "In den letzten fünf Jahren", sagt der Initiator, "haben wir deutlichen Zuwachs an Spenden. Junge Leute sind bereit, großzügiger zu geben." Krishnamurthy spricht von jungen Indern, die als hochdotierte IT-Kräfte an die Spree kommen. Nach Angaben der indischen Botschaft leben bis zu 15.000 Inderinnen und Inder in Berlin, sagt er. Aber manche Schätzungen sprechen von bis zu 20.000 Menschen vom Subkontinent.
Indische Spenden
Das derzeit noch im Bau befindliche höchste Hochhaus Berlins, das vor Ort nur als "Amazon-Tower" bezeichnet wird, ist kaum drei Kilometer vom Tempelbau entfernt. Der globale Online-Händler will den Großteil der 33 Etagen belegen. Und auch wegen IT-Unternehmen kommen junge Inder in die Stadt. Manche der Jüngeren, sagt Krishnamurthy, spendeten vierstellige Beträge. Oder mehr. "Sie sind wegen der Arbeit nach Deutschland gekommen. Und sie wollen - wie wir damals - die vertrauten Rituale, die sie in Indien gehabt haben. Aber beide, Frau und Mann, arbeiten. Da bleibt zuhause keine Zeit für die Rituale." So warten sie auf den Tempel.
Der Spendenfluss ermöglichte in diesem Jahr einen rascheren Fortgang der Arbeiten. Im Sommer waren bis zu 50 auf den Tempelbau spezialisierte Kräfte vor Ort, sogenannte Stapathy. So ist der eigentliche Bau, hinter dem sich nun das nach wie vor genutzte Provisorium versteckt, fertiggestellt. Das Dach leuchtet bereits safran-orangegelb. Und vor dem Gebäude steht seit längerem, nun in farbiger Schönheit, der fast 18 Meter hohe Königsturm. Er ist im Blick von Passanten oder Autofahrern auf der vierspurigen Hasenheide.
Aber die Götter fehlen noch. Krishnamurthy erläutert den besonderen Beruf der Götter-Bauer, die in der alten Heimat nach fünftausend Jahre alten Vorgaben aus hartem Stein und mit besonderer Sorgfalt die Figuren arbeiten. 27 sollen es werden, sagt er. Bislang sieht man im noch nicht ausgemalten Innenraum des Tempels die leeren Nischen für die Götter-Statuen. Davor stehen, gleichfalls noch in weiß, steinerne Figuren als Wächter.
Die Weihe - ein sechstägiges Fest
Aber der Tempel-Bauherr ist über den Fortschritt der Arbeiten informiert und zufrieden. Er erläutert die Transportwege von Indien nach Berlin, auch die Notwendigkeit, die fertigen Arbeiten und den Stein zu prüfen, durch ein mehrwöchiges Wässern beispielsweise. Im November, um das Diwali-Lichterfest, will er fertig werden, dann soll die sechstägige Weihezeremonie "Kumbhabhishekham" steigen. "Wir glauben an Gott, dass er uns unterstützt." Denn im Dezember, sagt der Chef, ist "Margashirsha", der "schlafende Monat" für die Götter. Dann wäre eine Einweihung nicht möglich.
Als junger Mensch in Berlin ging Krishnamurthy häufiger in einen kleinen Tempel in der Kreuzberger Urbanstraße. Und jedes Jahr pilgerte er nach Hamm, wo, von Tamilen errichtet, seit gut 20 Jahren der bislang größte hinduistische Tempel Deutschlands steht. Der Neubau in Berlin wird knapp drei Meter höher sein. "Wenn ich alles fertig habe, dann habe ich Ruhe."
Aber dem 70-Jährigen, der von der Kraft der Meditation im Tempel spricht, geht es eigentlich nicht um Zahlen. Immer wieder betont er im Gespräch das Miteinander der Menschen und den Dialog. Schon heute kämen nicht mehr nur 20 bis 50 Menschen, sondern an die hundert in den provisorischen Gebetsraum, der nur zwei Stunden pro Tag geöffnet sei. Sie meditierten oder ließen sich segnen. Jedes Jahr kämen 60 oder 70 Schulklassen vorbei, um den Tempel zu sehen.
Bunte Nachbarschaft
Und dann ist der ältere Hindu eben auch sehr ein Kreuzberger. Er schwärmt von der multikulturellen Prägung der Nachbarschaft, den Menschen aus ganz verschiedenen Teilen der Erde. Er erwähnt seinen Kontakt zum Imam der nahen Moschee, zu einem evangelischen Pfarrer, zum Nuntius, dem Botschafter des Papstes in Berlin, der seine Residenz am anderen Ende der Hasenheide hat. "Das ist ein guter Platz, den Tempel hier zu haben, zwischen Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln."