Historischer Triumph der Linken
2. November 2004Alle guten Dinge sind drei, mag sich Tabaré Vázquez gesagt haben. Im dritten Anlauf hat sich der 64-jährige Linkskandidat bei den Präsidentschaftswahlen in Uruguay am Sonntag (13.11.) einen Lebenstraum erfüllt: Vázquez wird der erste linksgerichtete Staats- und Regierungschef in der Geschichte des südamerikanischen Staates am Río de la Plata. Die zentrale Wahlkommission teilte am Montag (1.11.) mit, dass Vázquez über die Hälfte aller Stimmen (50,7 Prozent) auf sich vereinigen konnte. Eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent ist laut Verfassung Voraussetzung für einen Sieg in der ersten Wahlrunde.
In der Wahlnacht von Sonntag auf Montag feierten in der Hauptstadt Montevideo und anderen Städten Hunderttausende Menschen den Sieg der Linken. "Dies ist eine magische Nacht. Feiert, Uruguayer, feiert!", rief der sonst eher etwas dröge wirkende Vázquez überschwänglich in die Menge. Vázquez war für das Bündnis Encuentro Progresista/Frente Amplio (EPFA) angetreten, in dem eine bunte wie streitbare Mischung politischer Kräfte vereint ist. Sozialisten und Kommunisten gehören ebenso dazu wie Christdemokraten und ehemalige und inzwischen rehabilitierte Mitglieder der Tupamaro-Guerilla.
Wahlergebnis keine Überraschung
Zum einem Desaster wurden die Wahlen für die beiden konservativen Parteien, die - mit Ausnahme der Zeiten der Militärherrschaft (wie zuletzt von 1973 bis 1984) - sich seit der Unabhängigkeit Uruguays 1825 an der Macht abwechselten. Die Colorado-Partei, die vom konservativen Bürgertum unterstützt wird, kam gerade einmal auf rund 11 Prozent. Bei der vergangenen Parlamentswahl 1999 lag sie noch bei 31 Prozent. Sie war mit dem farblosen Kandidaten Guillermo Stirling ins Rennen gegangen, der Amtsinhaber Jorge Batlle, der nicht mehr antreten durfte, ablösen sollte. Auch der Vazquez-Herausforderer Jorge Larrañaga von der Nationalen Partei (Blancos), der Partei der konservativen Landbesitzer, musste sich mit 34 Prozent geschlagen geben.
Dennoch sei das Ergebnis keine Überraschung, sagt Francisco Sánchez, Uruguay-Experte beim Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg. "Das Linksbündnis hat in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich zu gelegt." Seit 1989 regierte die Frente Amplio bereits in der Hauptstadt Montevideo, in der 40 Prozent der Uruguayer wohnt. Auch bei den vergangenen Parlamentswahlen erreichte das Bündnis absolut gesehen die meisten Stimmen, es reichte jedoch nicht zur absoluten Mehrheit. Die wurden von den konservativen Parteien erreicht, die - wenn notwendig - koalierten.
Gegen neoliberale Politik
Der klare Wahlsieg von Vázquez ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Uruguayer die beiden traditionellen Parteien für die schwere Wirtschaftskrise des Landes verantwortlich machen und deren Anführer mit einer von den USA gestützten Freimarkt-Politik identifizieren, die vielerorts in Lateinamerika zu wirtschaftlichem Chaos geführt hat. Uruguay, das wegen seiner ansehnlichen Wirtschaftsleistung einst als die "Schweiz Lateinamerikas" bezeichnet wurde, geriet 2002 durch die schwere Wirtschaftskrise seiner großen Nachbarn Argentinien und Brasilien mit in den Abwärtsstrudel.
Davon hat sich das Land immer noch nicht erholt. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt 13 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden hat das Land angehäuft, eine Summe so hoch wie sein eigenes Bruttoinlandsprodukt.
Schwere Aufgabe für neue Regierung
Die Menschen hoffen nun auf Vázquez, der bei den Parlamentswahlen 1999 gegen seinen Rivalen Batlle von der Colorados-Partei erst in der Stichwahl unterlag. Der frühere Bürgermeister der Hauptstadt Montevideo, der nebenbei noch immer als angesehener Krebsspezialist arbeitet, strahlt Ruhe aus, aufrührerische Töne sind ihm fremd. Vázquez stellte immer wieder klar, dass die Sozialpolitik sein wichtigstes und erstes Anliegen sei. Seine Wahl wird Uruguay laut Sánchez auch den großen Nachbarn Brasilien und Argentinien annähern und könnte so dem Projekt der gemeinsamen Freihandelszone des Mercosur neuen Schwung verleihen.
"Radikale Änderungen sind aber nicht zu erwarten", sagt Sánchez, der nicht von einem "Linksruck" in Lateinamerika sprechen will. Die Linke in Lateinamerika sei äußert heterogen und nicht mit dem europäischen Verständnis der Linken zu vergleichen. "Man kann ein Land wie Venezuela nicht mit Uruguay gleichsetzen. Die verschiedenen Modelle sind sehr unterschiedlich", betont Sánchez. Die Stärke des linken Bündnisses in Uruguay sei es gewesen, trotz seiner sehr unterschiedlich politischen Strömungen sich als "gemäßigte" politische Formation darzustellen.
Tabaré Vázquez soll sein neues Amt am 1. März 2005 antreten.