Hollande, der Herausforderer
16. April 2012Immer wieder hat der Kandidat zur Vorsicht gemahnt, aber hier, auf dem letzten großen Mobilisierungstest vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag, muss es wohl raus: "Niemand hält uns auf! Niemand wird uns stoppen! Der Sieg kommt am 6. Mai", ruft François Hollande in die Menge, die rot-weiße Parteifahnen schwenkt und jubelt, wann immer der Sarkozy-Herausforderer zur Geschlossenheit aufruft oder Attacken auf den politischen Gegner reitet.
Verunsicherung trotz bester Umfragewerte
Rund 100.000 Anhänger der Sozialisten sollen sich nach Parteiangaben auf dem Platz vor dem Schloss von Vincennes versammelt haben - und damit ebenso viele wie der amtierende Präsident Nicolas Sarkozy ein paar Kilometer weiter auf der Place de la Concorde im Herzen von Paris mobilisieren konnte. Für Hollande ist dieser Vergleich allenfalls eine Fußnote in der Geschichte seines Wahlkampfes, in dem laut Umfragen sein klarer Sieg in der Stichwahl nie in Gefahr geriet. Trotzdem sind viele Linken-Wähler heute tief verunsichert.
"Bei den Anhängern ist nicht der gleiche Enthusiasmus zu spüren wie vor fünf Jahren mit Ségolène Royal als Kandidatin. Damals haben viele zu träumen gewagt, heute hören sie eher brav und verhalten der Rede von Hollande zu", analysiert die Jungsozialistin Aurélie Rida, die an einem Info-Stand am Rande der Kundgebung Werbung für die Nachwuchsorganisation der Parti Socialiste (PS) macht. Als Vorwurf will sie diese Bemerkung aber nicht verstanden wissen. Es liege nicht am Kandidaten oder seinem nüchternen Programm, sondern an der Krise, die eben viele Anhänger resignieren lasse.
Gefahr von der linken Seite
François Hollande - das wird in vielen Gesprächen mit PS-Anhängern in Vincennes deutlich - ist der Kandidat des Kopfes, der den verhassten Sarkozy schlagen soll, aber die Herzen der Wähler erreicht er doch nicht. Hollande selbst kokettiert mit seiner nüchternen Ausstrahlung und pflegt sein Image als ganz normaler Bürger ohne Starallüren und damit als Gegenentwurf zum amtierenden Präsidenten, dem eine aktuelle Umfrage bescheinigt, der unbeliebteste Staatspräsident in der Geschichte der V. Republik zu sein.
Dass "gegen Sarkozy" zumindest im ersten Wahlgang nicht unbedingt ein "für Hollande" bedeutet, auch das sagen die Demoskopen. Vor allem der frühere Sozialist Jean-Luc Mélenchon, der mit seiner Front de Gauche (Linksfront) einfache Krisenrezepte anbietet, hat großen Zulauf. Auf die Frage nach dem Wahlkampf- Charismatiker Mélenchon nicken viele Besucher anerkennend, während François Hollande mit seiner von vielen Auftritten lädierten Stimme gegen den kalten Wind ankämpft, der über den Platz fegt.
Der Start für Hollande - ein Duell gegen Chirac
Weil ihm die Herzen nicht zufallen, hat sich der heute 57-Jährige schon zu Beginn seiner politischen Laufbahn vor allem mit Fleiß und Ausdauer nach oben gekämpft. Als die Franzosen 1981 mit François Mitterrand zum ersten (und bislang letzten) Mal in einer Direktwahl einen Sozialisten ins Präsidentenamt wählten, schickte die Partei den damals 26-Jährigen in die Provinz. Ausgerechnet im Wahlkreis von Jacques Chirac in der bäuerlichen Corrèze musste der Jungpolitiker, der damals auch als Wirtschaftsberater im Elysée-Palast anheuerte, für ein Abgeordnetenmandat kämpfen. Er hatte nicht den Hauch einer Chance.
Über die Jahre verschaffte sich der Absolvent der Kaderschmiede ENA aber bei der ländlichen Bevölkerung Respekt. Nach einem Neuzuschnitt der Wahlkreise gelang ihm zeitgleich mit dem fast gleichaltrigen Nicolas Sarkozy 1988 der Sprung in die Nationalversammlung. Die Wege Sarkozys und Hollandes, die beide im noblen Pariser Vorort Neuilly aufgewachsen sind und sich abseits der Kameras duzen, kreuzen sich seitdem regelmäßig. Anders als dem Konservativen oder Hollandes langjähriger Lebensgefährtin Ségolène Royal blieb dem Sozialisten selbst ein Regierungsamt aber bis heute versagt. Und so konzentrieren sich seine Führungserfahrungen vor allem auf die elf Jahre als Chef der Sozialistischen Partei von 1997-2008. Als Hollande dieses Amt an die heutige Chefin Martine Aubry abgab, ließ diese sich allerdings mit den Worten zitieren, sie habe die Partei in einem erbärmlichen Zustand vorgefunden.
Dass François Hollande Präsidentschaftskandidat der Sozialisten werden konnte, hängt eng mit dem Sex-Skandal des Parteifavoriten Dominique Strauss-Kahn zusammen, der kurz 'DSK' genannt wird. Doch auch nach dem Aus für DSK hielten prominente PS-Köpfe wie Ex-Premierminister Laurent Fabius den Gedanken an einen Kandidaten Hollande "für einen Witz". Kaum schmeichelhafter auch das Urteil eines anderen prominenten Sozialisten. Als vor fünf Jahren Ségolène Royal für die Partei ins Rennen ging, sagte Arnaud Montebourg im Fernsehen: "Ségolène Royal hat nur eine einzige Schwäche, und die ist ihr Lebensgefährte." Royal selbst stellte die rhetorische Frage über den Vater ihrer vier Kinder, der heute mit der Journalistin Valérie Trierweiler zusammenlebt: "Können die Franzosen eine Sache nennen, die er in dreißig Jahren politischen Lebens geschaffen hat?"
Wahlprogramm bleibt vage
Vor dem Schloss von Vincennes sind solche Stimmen natürlich heute nicht mehr zu vernehmen. Die einstigen Kritiker spekulieren längst auf begehrte Posten nach einem Wahlsieg. Ein Schattenkabinett - und damit wichtige Hinweise auf eine politische Linie eines Präsidenten Hollande - gibt es aber nicht. Hier hält sich der Kandidat bislang bedeckt.
Sein Programm der "60 Engagements für Frankreich" ist genauso wie das von Nicolas Sarkozy eher vage gehalten. Allenfalls kleine Zuckerstückchen hat der für französische Verhältnisse gemäßigte Sozialist dem Publikum und den verschiedenen Lagern seiner Partei serviert. Eine Nachverhandlung des EU-Fiskalpaktes gehört zu den Punkten, die Stärke demonstrieren sollen und große Schlagzeilen gemacht haben. Gerade in der Bundesregierung ist die Sorge groß, der von Bundeskanzlerin Merkel gegen viele Widerstände durchgesetzte Vertrag könnte aufgeweicht werden.
Innenpolitisch punktete Hollande mit dem Versprechen, 60.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, die Rentenreform teilweise wieder rückgängig zu machen und eine Millionärssteuer von 75 Prozent einzuführen. Angesichts der desolaten Finanzlage und wegen des Drucks der Finanzmärkte gehen Beobachter allerdings davon aus, dass ein Präsident Hollande vor allem sehr schnell Antworten auf eine Frage finden müsste, die der Wirtschaftsfachmann in seinem Wahlprogramm weitgehend offen lässt: Ausgabenkürzungen des Staates.
"Haben wir den Franzosen zuviel versprochen?"
Es sind wohl diese Aussichten, die viele Linke daran hindern, den möglichen Sieg des Kandidaten so herbeizusehnen, wie dies die Anhänger von François Mitterrand vor drei Jahrzehnten getan haben, als die Partei das ganze Land umkrempeln wollte. Fotos vom Wahlsieg Mitterrands, die in Vincennes vor der Rede des Kandidaten auf Großbildschirmen gezeigt werden, lassen diesen Kontrast für alle sichtbar werden. Doch schon die wenigen Ankündigungen ihres Kandidaten machen der Jungsozialistin Rida Sorgen. "Wir haben den Franzosen viel versprochen. Wenn wir das nicht einhalten, wird die Rechte die folgenden 30 Jahre regieren."
Als François Hollande nach gut 50 Minuten unter großem Jubel die Bühne verlässt, haben viele Besucher bereits das Gelände wieder verlassen. Manch einer wird vielleicht an ein längst berühmtes Zitat aus einem Spielfilm über die letzten Jahre von François Mitterrand gedacht haben: "Ich bin der letzte der großen Präsidenten. Nach mir kommen nur noch Finanzfachleute und Buchhalter", sagte der Film-Präsident damals in aller Bescheidenheit.