Hongkonger demonstrieren ohne Angst weiter
6. August 2019An diesem Montag ist es in Hongkong schwül und warm. Das Thermometer klettert auf über 30 Grad. Menschenmassen in der Trauerfarbe Schwarz haben sich zeitgleich in sechs verschiedenen Bezirken zu Großkundgebungen versammelt. In einem siebten Bezirk hat die Polizei die Protestaktion in letzter Minute verboten. Dennoch gehen auch viele Menschen spontan "spazieren", um dabei über die Zukunft ihrer Heimatstadt zu beraten.
Die Lage während des Generalstreiks ist in der ganzen Stadt sehr angespannt. Die Demonstranten behindern seit dem frühen Morgen den Berufsverkehr - auf Straßen und Schienen. Viele U-Bahn-Linien, einschließlich die Expressbahn zum Flughafen, fahren zeitweise nicht. Flüge werden storniert. Das öffentliche Leben liegt teilweise lahm.
"Das Richtige als Bürger in Hongkong"
Der Medizinstudent Wesley ist zum Protest im Bezirk Wong Tai Sin gekommen. Der angehende Radiologe, Anfang 20, macht gerade ein Pflichtpraktikum in einer Klinik. Am Montag ist er wie die meisten Studenten aus seinem Jahrgang nicht zum Dienst erschienen. Er ist sich der Gefahr bewusst, dass er Probleme mit der Universität bekommen kann. "Vielleicht ist auch meine berufliche Karriere im Eimer", sagt Wesley. "Aber egal! In diesem kritischen Moment will ich das Richtige tun! Das Richtige als Bürger Hongkongs. Das ist wichtiger als der Studentenkram."
Der Versammlungsplatz in Wong Tai Sin ist gut gefüllt. Die Rufe "Hongkonger, add oil!" hallen über dem ganzen Gelände. "Add oil" ist im Hongkonger Dialekt ein Ausdruck, um seinen Mitmenschen Mut zuzusprechen. Andere rufen: "Hongkong hat kein Problem mit den Gewalttätern, aber mit den Übeltätern in der Verwaltung!" Einige Aktivisten halten auf dem Podium Reden, die allerdings im Lärm der Proteste größtenteils untergehen.
Forderungen der Demonstranten
Wesleys Vater Eric ist auch gekommen. Der Manager streikt heute ebenfalls. "Die junge Generation hat schon viel erreicht", sagt er im DW-Interview. "So konnte das Auslieferungsgesetz gestoppt werden. Nun ist meine Generation am Zug." Mit seinem Arbeitgeber komme er klar, fügt Eric hinzu. Seine Firma, offenbar ein internationaler Konzern, sei tolerant und weltoffen. Er wirbt für mehr Verständnis. "Der Streik heute soll der Verwaltungschefin Carrie Lam das Regieren erschweren. Sonst bliebe ja alles beim Alten. Es mag ja sein, dass der Streik heute für einen Moment Unbequemlichkeit bringt, aber falls wir mittelfristig unsere Ziele erreichen sollten, haben langfristig alle Bürger in Hongkong etwas davon."
Die erklärten Ziele der Demonstranten sind klar definiert. Sie wollen, dass die Regierung das kontroverse Auslieferungsgesetz endgültig begräbt und Ermittlung wegen Polizeigewalt durch eine unabhängige Kommission zulässt. Schließlich soll Lam für ihre schlechte Regierungsarbeit zurücktreten und so den Weg für Direktwahlen freimachen.
Protest vor Verwaltungsgebäude
Am Montag ist auch der Bezirk Admiralty Schauplatz von Großprotesten. Hier befinden sich Carrie Lams Büro, und mit Stadtverwaltung, Parlament sowie Oberstem Gerichtshof das politische Zentrum der 7-Millionen-Metropole.
Unter den Demonstranten ist Alan, der für eine chinesische Staatsbank im benachbarten Finanzdistrikt Central arbeitet. "Mein Vorgesetzter sagte mir, ich möge ihm ein Selfie am Arbeitsplatz als Beweis dafür zuschicken, dass ich heute im Büro war ", sagt der 29-Jährige der DW lachend. "Er sagt, es wäre für die Firma besorgniserregend, wenn ich mich an diesem 'sensiblen' Tag nicht im Büro blicken ließe." Die Mehrheit von Alans Kollegen unterstützt die Proteste. "Die Finanzdienstleistung ist für Hongkong von enormer Bedeutung. Durch meinen Streik will ich den Protesten mehr Nachdruck verleihen."
Die Äußerungen von Verwaltungschefin Lam hätten ihn nicht überzeugt, so Alan weiter. Lam spreche nur von "gewalttätigen Extremisten, die die Staatsgewalt verleumden." Ihre Position nähere sich dem Kurs der Kommunistischen Partei an, die auf dem Festland einen Polizeistaat errichtet habe. Lam sei ein hoffnungsloser Fall.
Lam auf Peking-Kurs
Eric aus dem Bezirk Wong Tai Sin bringt seine Kritik so auf den Punkt: "Carrie Lam ist für mich nicht mehr als ein Diktiergerät, das die Forderungen aus Peking wiederholt. Ich glaube schon, dass sie versteht, was wir wollen, aber sie spricht nicht zu den Menschen in Hongkong, sondern zu den Machthabern in Peking. Sie will sich alle Optionen offenhalten, um Pekings Streitkräfte zur Hilfe rufen zu können, wenn sie nicht weiterweiß."
Erics Sohn schließt sich an: "Warum müssen wir denn jedes Mal protestieren gehen. Demos sind verdammt anstrengend! Wir sind keine Separatisten oder Gewalttäter. Wir wollen einfach echte Demokratie und sozialen Frieden."