Brasiliens Pfingstgemeinde und ihre weltweite Mission
24. Dezember 2022Mittwoch, 19 Uhr, in der Neuen Nazarethkirche am Leopoldplatz in Berlin: Um die 20 Gläubige haben sich eingefunden, um Gottesdienst zu feiern. Es werden Audiogeräte verteilt, auf denen manche sich während der folgenden Stunde die portugiesische Simultanübersetzung der Ansprache von Pastor Ulices Vidal anhören - viele der Gläubigen scheinen aus portugiesischsprachigen Ländern wie Brasilien, Angola oder Mosambik zu kommen.
Die "Igreja Universal do Reino de Deus", auf Deutsch "Universalkirche vom Reich Gottes" oder auch "Hilfszentrum UKRG e.V.", kommt aus Brasilien. Sie wurde 1977 vom damaligen Lotterieverkäufer Edir Macedo als kleine Freikirche in Rio de Janeiro gegründet. Mittlerweile ist sie eine der mitgliederstärksten Pfingstkirchen in einem Land, in dem evangelikale Religionsgemeinschaften in den vergangenen Jahrzehnten enorm an Einfluss gewonnen haben.
Dies ist kein brasilianisches Phänomen: Während evangelische und katholische Gemeinden stetig an Mitgliedern verlieren, breiten sich Pfingstgemeinden kontinuierlich aus - vor allem in Amerika, Asien und Afrika, aber auch in Europa.
Die UKRG ist ganz vorne mit dabei. Laut brasilianischer Website missioniert die Igreja Universal mittlerweile in über 100 Ländern und auf der Seite für die Arabischen Emirate heißt es, man sei "mit Kirchen verbunden, die in über 180 Ländern tätig sind". In Europa ist die Religionsgemeinschaft laut ihrer deutschsprachigen Website in mindestens 23 Ländern aktiv.
Welt der Wunder und Dämonen
Doch was bedeutet evangelikal eigentlich? Das evangelische Magazin "chrismon", herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), verweist auf "das Geist-Erlebnis: leidenschaftliche Gebete, emotionale Predigten, mitreißende Bekenntnisse". Für die Pfingstchristen "ist die Bibel wörtlich inspiriert, sie sprechen in einfachen Bildern von Himmel und Hölle, von Sünde und Buße". Und wer nicht glaubt, der "hat den Geist noch nicht erlebt".
Laut der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZ) steht im Zentrum der Frömmigkeit "die Suche nach der Erfahrung des Geistes als 'Kraft aus der Höhe', die den Glaubenden ergreift, heilt und zu einem Zeugnis befähigt, das von Zeichen, Wundern und Dämonenaustreibungen begleitet ist."
Auch in Gottesdiensten in der Nazarethkirche, Hauptsitz der Universalkirche in Deutschland, haben schon Exorzismen stattgefunden, bei denen Menschen also von ihren vermeintlich bösen Geistern befreit wurden. An diesem Abend zeigt Pastor Vidal ein Video einer Wunderheilung.
Dabei geht es um eine Frau namens Maria, die der Universalkirche in Brasilien angehört. Sie bekommt eine Tochter, deren Gesundheitszustand sich nach der Geburt immer weiter verschlechtert. Sie ist taub, stumm, blind und kann nicht laufen. Maria versucht alles, und als es scheinbar keine Hoffnung mehr gibt, entschließt sie sich, ganz und gar auf Gott zu vertrauen und all ihre Ersparnisse am Altar abzugeben. Und siehe da - die Tochter wird gesund.
Geldwäsche in Gottes Namen?
Wundergeschichten wie diese finden sich zuhauf im Internet und sind bezeichnend für die "Wohlstandstheologie" der Universalkirche. Stefan van der Hoek, der das Forschungszentrum für Religion und Bildung der Friedrich-Schiller-Universität Jena leitet, und schon viel zur Universalkirche geforscht hat, erklärt die Idee dahinter.
"Wenn ich etwas gebe, was für mich sehr wertvoll ist, und damit meinen Glauben bezeuge, also wenn ich damit Gott wirklich zeigen kann, dass ich bereit bin, mich selbst, mein Leben, meine Ressourcen für ihn zu investieren, dann ist auch Gott guten Willens und hält sich an sein Versprechen, indem er mir auch materielle Güter zukommen lässt."
Genau das ist es jedoch, was viele als Schröpfung der Gläubigen kritisieren - vor allem angesichts der Tatsache, dass Kirchengründer Edir Macedo in Brasilien mittlerweile einflussreicher Unternehmer und Milliardär ist und seine Kirche dort bereits wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Veruntreuung von Spendengeldern in Konflikt mit der Justiz geraten ist.
Ob auch Gelder der Gemeinden außerhalb Brasiliens dorthin zurückfließen, konnte die DW nicht herausfinden, auf Interviewanfragen hat die UKRG nicht reagiert. Die Britin Rachael Reign von der Aussteigergruppe "Surviving Universal UK" ist jedoch davon überzeugt.
"Ich habe gehört, dass Macedo das Vereinigte Königreich innerhalb Europas als seinen Goldesel betrachtet. Jedes Jahr kommen hier in der Universalkirche um die 14 Millionen Pfund zusammen, die nicht versteuert werden müssen", erklärt die 29-Jährige. Aufgrund eigener Erfahrungen, Nachforschungen und Gesprächen mit Insidern sei sie sicher, dass ein Teil des Geldes nach Brasilien zurückfließe und dabei mitunter auch mit Offshore-Konten gearbeitet werde.
Auf der Straße angesprochen
Reign war im Alter von 13 bis 20 Jahren Mitglied der Universalkirche in Großbritannien - innerhalb Europas eines der Länder, in denen sich die Pfingstgemeinschaft mit am meisten ausgebreitet. Seit 1995 ist die UKRG hier aktiv und zählt mittlerweile laut Website mindestens 10.000 aktive Mitglieder - zumeist aus ärmeren Verhältnissen, zumeist schwarz.
Reign erzählt, sie sei auf der Straße angesprochen und schnell in die Welt der Evangelikalen hineingesogen worden. "Sie sind gut darin, deine Schwachstellen, deine schlimmsten Probleme herauszufinden, und sagen dir dann, dass die Kirche dir helfen kann. Sie erzählen dir, wenn du zu dieser und jener Veranstaltung kommst, kann sich dein Leben wirklich ändern. Und irgendwann sagen sie, Leute außerhalb der Gemeinde schwächen nur deinen Glauben."
Sie habe "mit über 300 Aussteigern aus der ganzen Welt gesprochen, Neuseeland, Südafrika, Fidschi, Amerika", die ähnliche Beschwerden geäußert hätten, so Reign. Alle hätten das Gefühl geäußert, emotional und psychisch missbraucht und finanziell ausgenommen worden zu sein.
Erst Kirchenzehnt, dann Miete
Die Universalkirche fordert zehn Prozent des Einkommens ihrer Mitglieder ein. Das ist viel Geld. Zum Vergleich: Die in Deutschland von der evangelischen und katholischen Kirche erhobene Kirchensteuer beträgt zwischen acht und neun Prozent der an den Staat gezahlten Einkommensteuer.
Wobei die zehn Prozent vom Einkommen durchaus keine Erfindung der Igreja Universal sind. Den "Kirchenzehnt" gab es bereits zu früheren Zeiten in Teilen Europas. Andere Freikirchen erwarten ähnlich hohe Mitgliederspenden.
Aber die UKRG hebe all das auf ein anderes Level, sagt Reign: "Bevor man anfängt, irgendetwas anderes mit seinem Gehalt zu machen, soll man auf jeden Fall sicherstellen, diesen Anteil für die Kirche zur Seite zu legen. Es wäre eine schlimme Sünde, dieses Geld anzufassen, damit würde man Gott berauben."
Der Einkommenszehntel als erwünschte Abgabe scheint ohnehin nur das Minimum zu sein. Reign erzählt, dass sie und andere Gemeindemitglieder in der Zeit bei der UKRG regelmäßig Spenden bei Menschen außerhalb der Kirche gesammelt haben - wofür diese dann verwendet wurden, sei wie auch bei den Mitgliederspendern nie transparent gewesen.
Einfache Lösung für schwierige Probleme
Laut Kirchenexperte Van der Hoek sind die Spendenaufforderungen in Gottesdiensten der UKRG in Deutschland indirekter als das, was Reign für Großbritannien schildert. Sie sind auch nicht sein Hauptkritikpunkt an der Universalkirche.
"Ich glaube nicht, dass die Pastoren mit bösen Absichten da herangehen und sagen: 'Wir wollen die Leute jetzt mal so richtig finanziell ausbeuten und spirituell zum Narren halten.' Ich glaube, die haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht und sind überzeugt, dass dieses Weltbild, das die Universalkirche anbietet, für sie schlüssig ist."
Problematisch finde er jedoch, wie oftmals "mit einem Placeboeffekt gearbeitet" werde. Für komplexe Probleme und Fragen liefere die Universalkirche extrem vereinfachte Erklärungen und Lösungen. Wer an diese glaube, dem könne es vielleicht besser gehen. Eine Auseinandersetzung mit den Problemen im echten Leben werde jedoch ausgeklammert.
"Nicht umsonst wächst die Universalkirche vor allem dort, wo soziale Ungleichheit sehr groß ist", so der Theologe, "und wo solche Angebote auf fruchtbaren Boden fallen würden."
In der Nazarethkirche in Berlin neigt sich der Gottesdienst dem Ende zu. Am Ende gibt es noch einmal eine Gebetsrunde: Jeder formuliert seine Bitten mit eigenen Worte, manche haben Arme und Hände geöffnet, wie, um etwas zu empfangen. Bevor sie gehen, legen viele der Gläubigen einen weißen Umschlag mit Geld vor dem Altar ab.