Unzensiert und aktuell
20. Juli 2009Das aktuelle "instant book" heißt "Papi" - so nannte die 18-jährige Noemi Regierungschef Berlusconi. Caterina Serra hat es schon gelesen, fast in einem Rutsch. Sie gehört zur treuen Leserschaft von Marco Travaglio und kennt alle Bücher, die der unabhängige Journalist über Silvio Berlusconi geschrieben hat. Auch wenn Caterina über die ausschweifenden Feste auf Sardinien und in der römischen Residenz des Ministerpräsidenten bereits informiert war, hat ihr das Buch "Papi" sehr gefallen. "Wir sind ein ganz besonderes Land: Das Fernsehen berichtet längst nicht mehr unabhängig und objektiv, sondern einseitig zugunsten eines Mannes und seiner Gefolgsleute", erklärt sie.
Ein Verlag für kritische Autoren
Aus diesem Grund füllt der Verlag "Chiarelettere" diese Lücke. Er ist eine Anlaufstelle für Regimekritiker mit spitzer Feder. "Wir versuchen, mit unseren Büchern der Pressefreiheit Raum zu geben. Bei uns herrscht vollkommene Autonomie, was die Inhalte angeht, es gibt keine Kontrolle von oben wie in vielen anderen Buchverlagen", sagt Maurizio Donati von "Chiarelettere". Hier publizieren all diejenigen, die sich im Italien des Silvio Berlusconi einen Namen als lästige Fragensteller und unbestechliche Erzähler der Wahrheit gemacht haben.
Gianni Barbacetto ist einer von ihnen. Sein aktuelles Buch hat der Journalist in knapp drei Wochen fertig geschrieben: Es ist eine kommentierte Zusammenfassung von gerichtlichen Abhörprotokollen, die viel über den moralischen Zustand der italienischen Politikerklasse aussagen. "Die italienische Regierung hat mit einem neuen Gesetz das Abhören von Telefonaten von Verdächtigen eingeschränkt und will das Veröffentlichen von Abhörprotokollen ganz verbieten. Wenn das durchgeht, wird den Italienern die Möglichkeit genommen, zu wissen, was in ihrem Land vor sich geht. Deshalb haben wir rasch eine Sammlung von Abhörprotokollen zusammengestellt und veröffentlicht, solange es eben noch geht."
Bücher, die Italien verändern?
Es gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel, was unabhängige Verleger und Journalisten treiben. Es ist eine Art des Protestes gegen die teils offene, teils subtile Zensur, die in den meisten italienischen Medien praktiziert wird. Berlusconi gehört ein TV-Imperium, viele Zeitungen sind im Besitz seiner Familienangehörigen oder Vertrauensleute. Aus Angst vor politischem Druck werden kritische Informationen zurückgehalten oder nicht vollständig veröffentlicht. "Unsere Bücher sollen die öffentliche Diskussion anstoßen und das nötige Wissen liefern, um zu verstehen, was hier passiert. Wenn du die so genannte Justizreform der Regierung bewerten willst, musst du dir die Zeit nehmen ein Buch darüber zu lesen", erklärt Maurizio.
Obwohl es sich um Sachbücher handelt, hat "Chiarelettere" schon eine ganze Reihe Bestseller herausgebracht: Bücher, die sich 100.000 Mal und mehr verkauft haben. Der Verlag schreibt mit einem Jahresumsatz von fünf Millionen Euro schwarze Zahlen und Journalisten wie Gianni Barbacetto sind inzwischen hauptberuflich Schriftsteller. "Ein großer Teil der italienischen Journalisten kann nicht so arbeiten wie er will, weil er keine Abnehmer findet", erzählt Barbacetto.
Das Blog zum Buch
Die Bücher kosten zwischen zwölf und 15 Euro, sind auf billigem Papier gedruckt und geklebt, nicht gebunden. Es sind Taschenbücher zum sofortigen Gebrauch, nicht für die Ewigkeit. Die meisten bieten eine Fülle von Fakten und Namen, sind aber dennoch oft in einem ironisch-unterhaltsamen Plauderton geschrieben, der vor allem jungen Lesern zusage, erklärt Maruzio Donati. "Wir haben Autoren, die bei uns ihr erstes Buch überhaupt veröffentlichen: Das sind junge Journalisten, die ansonsten in den Redaktionen versauern. Auch unsere Leser sind jung. Oft sind es Leute, die ansonsten kaum Bücher lesen."
Vielleicht hat das auch mit den Blogs zu tun, die die Autoren parallel zum Erscheinen ihres Buches eröffnen. Die Leser können online fragen und diskutieren. Der Blog von Marco Travaglio, der das Buch "Papi" geschrieben hat, gehört zu den meist gelesen in Italien.
Autorin: Kirstin Hausen
Redaktion: Julia Kuckelkorn