Das Internet und die Autokraten
8. Juli 2020Zensur, Überwachung, Fake News, Hetzkampagnen - all diese Möglichkeiten nutzen autokratische Staaten im Internet, etwa um die öffentliche Meinung zu beeinflussen oder um politische Gegner oder Kritiker einzuschüchtern. Sie haben erkannt, dass sich der digitale Raum in ihren Händen in ein wichtiges Werkzeug des Machterhalts und der Deutungshoheit verwandeln kann - für die mehr als drei Milliarden Menschen, die weltweit in autokratisch regierten Ländern leben, eine schlechte Nachricht.
Eine gute ist dagegen, dass es Menschen wie Maria Ressa oder Lina Attalah gibt, die sich dem Kampf gegen diese Unterdrückung verschrieben haben, auch wenn er oft hoffnungslos erscheint. Ressa hat auf den Philippinen das Nachrichtenportal "Rappler" mitbegründet. Wegen dessen regierungskritischer Berichterstattung vor allem in Bezug auf den von Präsident Rodrigo Duterte ausgerufenen "Krieg gegen die Drogen" steht sie als Chefredakteurin unter immensem Druck. Ressa wurde bereits mehrfach festgenommen und in einem Verleumdungsprozess kürzlich für schuldig befunden - das Strafmaß steht noch aus.
Attalah ist Gründerin und Chefredakteurin der Onlinezeitung "Mada Masr", die zu den letzten unabhängigen Medien in Ägypten gehört und seit drei Jahren von Präsident Abdel Fattah al-Sisis Regierung blockiert wird. Die Behörden gingen schon mehrfach gegen "Mada Masr" vor, etwa mit einer Razzia vergangenen November oder einer kurzzeitigen Festnahme Attalahs im Mai.
Soziale Netzwerke als Waffe
Bei einem digitalen Panel im Rahmen des jedes Jahr von der Deutschen Welle veranstalteten Global Media Forums sprachen die beiden streitbaren Journalistinnen über die Bedeutung des Internets in autokratischen Staaten. Mit dabei waren auch Markus N. Beeko von Amnesty International, der dort unter anderem Vorsitzender der Gruppe "Menschenrechte im digitalen Zeitalter" ist, sowie DW-Journalistin Sarah Kelly, die die Diskussion moderierte.
Marie Ressa spricht von einem "Tod der Demokratie durch Tausend Stiche". Auf den Philippinen hätten das Internet und im Speziellen die sozialen Netzwerke in den vergangenen Jahren bei diesem Prozess geholfen. "Die Regierung benutzt die sozialen Netzwerke als Waffe, indem sie sie mit so vielen Informationen und so viel Hass flutet, dass die Leute irgendwann nicht mehr wissen, was wahr ist."
Die Maxime "Wenn man etwas tausendmal erzählt, wird es irgendwann zur Wahrheit" habe auch in einer Schmierkampagne gegen ihre eigene Person Wirkung gezeigt. Ressa hatte vor der Gründung von "Rappler" lange als leitende Investigativreporterin für CNN International in Südostasien gearbeitet. Man habe sie öffentlichkeitswirksam als Kriminelle dargestellt, obwohl sie nie etwas Illegales getan habe, so die 56-Jährige.
Internet als Spiegel der analogen Welt
Während auf den Philippinen trotz juristischer und physischer Attacken gegen kritische Journalisten noch von Medienvielfalt gesprochen werden kann, haben weitreichende Strafverfolgung und Zensur in Ägypten diese bereits extrem ausgedünnt. "Alle nicht zensierten Medien sind entweder direkt in staatlicher Hand oder haben dem Regime auf die eine oder andere Art die Treue geschworen", schildert Lina Attalah die Situation in dem nordafrikanischen Land. Unabhängige Medien seien dagegen kaum mehr in der Lage, ihre Arbeit zu tun - so auch "Mada Masr", wo man wegen der Sperrung der Website mit "alternativen Publikationsmethoden" arbeite.
Markus N. Beeko sieht das, was sich online in Sachen staatlicher Einflussnahme in Ländern wie Ägypten und den Philippinen, aber auch etwa China oder Russland abspielt, als Spiegel der analogen Welt. "Die Unterdrückung nimmt zu, Menschenrechte werden angegriffen, die Pressefreiheit wird angegriffen, Aktivisten und Anwälte werden angegriffen."
Soziale Netzwerke als alternativer Treffpunkt
Dennoch stelle auf der anderen Seite das Internet eine wichtige Infrastruktur dar, die es vielen Menschen ermögliche, sich zu informieren, sich auszutauschen und teilzuhaben, so Beeko - besonders, wenn reale Orte des Austauschs nicht mehr existieren.
In der Tat sind Massenbewegungen wie "Black Lives Matter" oder die Proteste in Hongkong ohne die Hilfe von Messenger-Apps, Online-Foren und Chatrooms kaum vorstellbar. So kann das Internet in den Händen der einen zur ultimativen Unterdrückungstechnologie werden, für andere zum unerlässlichen Befreiungswerkzeug.
Maria Ressa ist in jedem Fall entschlossen, auf den Philippinen das Feld nicht dem Regime zu überlassen: "Wir geben weiterhin unser Bestes, denn ich glaube, wir machen einen Unterschied. Das ist unsere Art zurückzuschlagen: mehr Journalismus."
Ein Aspekt, der Lina Attalah hoffnungsvoll stimmt, ist, dass "am Ende des Tages das Internet nie hundertprozentig kontrolliert werden kann, es gibt immer Schlupflöcher." Auch sie will weitermachen, so lange sie nicht ins Gefängnis gesteckt wird, wie viele andere Kollegen. Ägypten ist mittlerweile eines der Länder mit den meisten inhaftierten Journalisten.
Attalah und auch Ressa wünschen sich jedoch, dass repressive Staaten von internationalen Unternehmen keine Software bekommen, die bei Überwachung oder Zensur von Onlinemedien helfen kann. Und dass die Funktionsweise sozialer Netzwerke überdacht wird, damit sie mehr zu Verständigung und Informiertheit beitragen, statt zu polarisieren.