1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nur auf dem Papier stark

Andreas Gorzewski13. Juni 2014

Die Regierung in Bagdad hat zwar hunderttausende Soldaten und Polizisten, doch viele Probleme hemmen deren Einsatzfähigkeit. Den radikalislamischen ISIS-Kämpfern können die Streitkräfte vielerorts nicht standhalten.

https://p.dw.com/p/1CHsF
Irakische Soldaten an einem Checkpoint - Foto: Ali Al-Saad (AFP)
Bild: Ali Al-Saadi/AFP/Getty Images

In vielen nord- und westirakischen Städten ist Iraks Armee einfach überrannt worden. Die Kämpfer des "Islamischen Staates im Irak und in Syrien" (ISIS) eroberten im Januar 2014 Ramadi und Teile von Falludscha. Anfang Juni stürmten sie die Millionenmetropole Mossul und andere wichtige Städte. Nur mit Mühe gelang es der Armee, die sunnitischen Extremisten aus einigen Orten zurückzudrängen. Obwohl sich Iraks schiitischer Regierungschef Nuri al-Maliki gern als Garant für Sicherheit und Stabilität präsentiert, wirkt er machtlos. Um den Vormarsch der Extremisten Richtung Bagdad zu stoppen, hofft al-Maliki nun auf das Ausland.

Unter dem Diktator Saddam Hussein hatte der Irak etwa 375.000 Mann unter Waffen. Im achtjährigen Krieg gegen den Iran blieb diese Streitmacht sieglos, in den beiden Golfkriegen 1991 und 2003 konnte sie den von den USA angeführten Koalitionskräften keinen nennenswerten Widerstand leisten. Gegen kurdische und andere Rebellen im Land war die Truppe jedoch stark genug, um Aufstände blutig niederzuschlagen. Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 löste die US-Verwaltung im Irak die Armee vollständig auf, weil diese als Stütze des Regimes galt. Soldaten und Offiziere wurden über Nacht arbeitslos. "Diese Leute sind schon während der Besatzungszeit in den Untergrund gegangen", sagt Günter Meyer, Leiter des Mainzer Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt. Viele dieser gut ausgebildeten Offiziere würden nun an der Seite von ISIS gegen die Regierung kämpfen.

Günter Meyer - Foto: Peter Pulkowski (dpa)
Irak-Experte Meyer: "Offiziersränge werden oft an Günstlinge vergeben"Bild: picture-alliance/dpa/Peter Pulkowski

Von 2003 bis 2011 bemühten sich die US-Militärs, eine neue irakische Armee aufzubauen. Doch dann mussten die US-Berater das Land verlassen, weil die Regierung al-Maliki ihrem Einsatz nicht länger zustimmte. Mit ihrer aktuellen Sollstärke müsste die irakische Armee den ISIS-Verbänden haushoch überlegen sein. Laut einem Bericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) dienen in der Armee aktuell mehr als 270.000 Soldaten. Darüber hinaus kommandiere das Innenministerium 550.000 Polizisten und Spezialkräfte. Diese sind im Kampf gegen schwer bewaffnete Terrorgruppen und Milizen jedoch überfordert. Das Heer hat laut IISS etwa 340 Panzer. Darunter seien neben Abrams-Panzern aus den USA auch alte sowjetische T-55. Für Luftangriffe stehen demnach vor allem Kampfhubschrauber zur Verfügung. Die Kämpfe der jüngsten Tage haben gezeigt, dass die ISIS-Kämpfer mit ihrer Bewaffnung durchaus mithalten können. Außerdem haben sie den Regierungstruppen beim Vorstoß auf Mossul viele schwere Waffen abgenommen.

Befehlskette auf al-Maliki zugeschnitten

Trotz ihrer Mannschaftsstärke und Bewaffnung ist die Armee kaum schlagkräftig. Ein Schwachpunkt ist die Befehlsstruktur, heißt es in einem Bericht des Center for Strategic and International Studies (CSIS ) in Washington. Alles sei auf al-Maliki zugeschnitten, der bislang zugleich Verteidigungs- und Innenminister sowie Oberbefehlshaber der Armee ist. "Premier al-Maliki hat seine Kontrolle über die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte kontinuierlich ausgebaut", schreiben die Autoren des CSIS-Berichts. Al-Maliki nutze den Sicherheitsapparat zur politischen Kontrolle und zur Unterdrückung. Außerdem würden Offiziersränge oft an Günstlinge vergeben und nicht nach Kompetenz, erläutert Nahost-Experte Meyer.

Soldaten der neu aufgebauten irakischen Armee bei der Ausbildung 2003 - Foto: dpa
Soldaten der neue irakischen Armee (2003): Ausgebildet von USA und NatoBild: picture-alliance /dpa/dpaweb

Ein anderes Problem ist die konfessionelle Spaltung des Landes. Die Sunniten fühlen sich von der schiitischen Mehrheit unterdrückt. ISIS stellt sich als Schutztruppe der Minderheit gegen die von Schiiten dominierte Regierung und deren Sicherheitskräfte dar. Wenn ISIS-Kämpfer Armeestellungen in sunnitischen Stadtvierteln angreifen, desertieren immer wieder sunnitische Soldaten und laufen mit ihren Waffen zu den Extremisten über. Auch die von ISIS gezielt verbreiteten Horrorberichte, dass Kämpfer der Organisation Regierungssoldaten abschlachten, untergraben Meyer zufolge die Moral.

Sobald die sunnitischen Extremisten in von Schiiten bewohnte Gebiete vorrücken, müssen sie dem Mainzer Forscher zufolge jedoch mit dem erbitterten Widerstand schiitischer Milizen rechnen. Diese träten an die Stelle der gescheiterten Armee, um zu verhindern, dass ISIS-Kämpfer schiitische Heiligtümer erobern und zerstören.

Schlechte Moral und karger Sold

Ein weiterer Faktor für die Schwäche der irakischen Armee ist die weitverbreitete Korruption. Auch als die US-Berater noch im Land waren, verkauften Soldaten laut CSIS-Bericht militärische Ausrüstung, um ihren kargen Sold aufzubessern.

Um den Vormarsch von ISIS aufzuhalten, bittet Premier al-Maliki vor allem die USA um Hilfe. Schon seit Anfang 2014 haben die Vereinigten Staaten Waffen geliefert. "Die Forderung ist nun, dass die Amerikaner mit Luftangriffen und mit dem Einsatz von Drohnen gegen die ISIS-Leute vorgehen sollen", sagt Günter Meyer. US-Präsident Barack Obama betont, er halte sich alle Möglichkeiten für eine Unterstützung der Regierung in Bagdad offen. Doch nach Ansicht des Mainzer Professors gehe die Regierung in Washington davon aus, dass al-Maliki der eigentlich Schuldige für die Misere sei. Dessen gezielte Diskriminierung der Minderheit habe den jüngsten Konflikt verursacht.