Wirtschaft im Würgegriff
3. Juni 2013Arbeitslosigkeit, Armut und Inflation haben das Leben vieler Iraner in den letzten Jahren von Grund auf verändert. Das Land hat mit einer dramatischen Inflation zu kämpfen und stürzt immer tiefer in eine Wirtschaftskrise. Fast täglich steigen die Preise für Grundnahrungsmittel und Konsumgüter.
"Meine Familie kann ihr gewohntes Lebensniveau kaum halten", erzählt Mohammad, ein junger Informatiker aus Teheran. "Ich rede nicht von einem Luxusleben, sondern von ganz elementaren Dingen wie beispielsweise dem Erwerb einer simplen Flasche Milch für das Frühstück. Viele Familien haben inzwischen die Hoffnung aufgegeben. Sie verzichten auf vieles und kaufen weniger Lebensmittel ein." Früher, sagt Mohammad, ging er öfter mit seinen Freunden ins Café. Heute spart er lieber das Geld.
Ende März gab das iranische Statistikamt offiziell bekannt, dass die Inflationsrate im letzten iranischen Jahr (20. März 2012 - 20.März 2013) auf über 30 Prozent geklettert ist; ein neuer Rekordwert in der Geschichte des Landes. Laut offiziellen Angaben sind innerhalb eines Jahres die Preise für Nahrungsmittel um über 60 Prozent gestiegen. Wirtschaftsexperten glauben, dass die tatsächlichen Zahlen weit höher liegen.
Seit Inkrafttreten der Öl-Embargos von EU und USA Mitte 2012 hat die Landeswährung Rial stark an Wert verloren. Derzeit gibt es für einen US-Dollar in einer Wechselstube in Teheran 35.000 Rial, vor neun Monaten lag der Kurs noch bei 20.000 Rial. Die Händler in Teheran berichten von einer drastisch reduzierten Kaufkraft der Menschen.
Die Währungskrise habe einen katastrophalen Einfluss auf sein Geschäft, berichtet etwa der Inhaber eines Süßwarenladens in Teheran: "Die Trockenfrüchte und Nüsse sind für viele Iraner viel zu teuer geworden. Ich glaube nicht, dass unsere Branche in diesem Jahr mit Gewinnen rechnen kann", sagt der Händler, der lieber unerkannt bleiben will, in einem Gespräch mit der DW.
Medikamentenmangel
Obwohl Medikamente von der Sanktionsliste der EU und der USA gegen den Iran ausgenommen sind, meiden ausländische Pharmaunternehmen Geschäfte mit der islamischen Republik. Der Grund dafür sind die internationalen Sanktionen gegen die iranische Zentralbank, die den Geldtransfer erschweren. Seit Monaten herrscht im Land ein akuter Mangel an Medikamenten gegen Krankheiten wie Krebs, Multiple Sklerose oder Diabetes.
Nachgemachte Medikamente aus Ländern wie China, Pakistan und Indien haben den Schwarzmarkt in Teheran erobert. Sie seien aber für viele Betroffene unerschwinglich, sagt eine Krankenhausmitarbeiterin aus Teheran, die ebenfalls anonym bleiben möchte. "Es gab Fälle, in denen Patienten epileptische Anfälle bekommen haben, weil sie ein nachgemachtes Beruhigungsmittel genommen haben. Oder Fälle, in denen Menschen gestorben sind, weil sich herausstellte, dass das injizierte Penicillin gefälscht war", erzählt die junge Medizinerin.
Ende Dezember 2012 wurde die iranische Gesundheitsministerin Marzieh Vahid Dastjerdi entlassen, nachdem sie die Regierung wegen Unfähigkeit bei der Bereitstellung von Geldern für den Import von Medikamenten scharf kritisiert hatte.
Ausstehende Löhne und steigende Preise
Aufgrund der wirtschaftlichen Krise sind zahlreiche Fabriken nicht in der Lage, ihren Beschäftigten die Löhne auszuzahlen, was oft Streiks zur Folge hat. Die iranische Autoindustrie bekomme die Sanktionen besonders stark zu spüren, sagt Jafar Azimzadeh, Vorstandsvorsitzender der Freien Gewerkschaft der Arbeiter im Iran. "Das Geld, das ein Fabrikarbeiter im Iran verdient, reicht gerade eben für die Miete einer 50-Quadratmeter-Wohnung in einem Arbeiterviertel", berichtet er im Gespräch mit der DW.
Den staatlichen Zuschuss für die Lebenshaltungskosten, den die Regierung schon seit Längerem gewährt, hält Azimzadeh für reine Propaganda: "Wir sind eine vierköpfige Familie und bekommen 1,8 Millionen Rial (umgerechnet etwa 40 Euro). Diese Summe ist nicht mehr als ein Taschengeld für einen Jugendlichen. Ein Familienvater kann davon nicht leben."
Die Krise war schon vor den Sanktionen da
Ohne Zweifel haben die verschärften Sanktionen gegen den Iran die Wirtschaft des Landes unter Druck gesetzt. Experten betonen jedoch, dass die tiefe wirtschaftliche Krise schon vor den Sanktionen da war.
"Die Inflation ist auf die Wirtschaftspolitik der Regierung unter Ahmadinedschad zurückzuführen", sagt etwa Shahin Fatemi, Iranexperte und Ökonomieprofessor in Paris. Seiner Ansicht nach ist weder die jetzige Regierung unter Ahmadinedschad noch irgendeine künftige Regierung in der Lage, das Land von der Krise zu befreien.
Die Regierung hat im Jahr 2011 die Subventionen sowohl für Energie als auch für Lebensmittel gestrichen - ein Schritt, den der Internationale Währungsfonds (IWF) zunächst begrüßt hatte. Experten kritisieren jedoch, dass die Streichung der Subventionen zu schnell und zu radikal geschehen sei. Gleichzeitig wurden Milliarden Staatsgelder als Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten, das so genannte "Bürgergeld", ausgegeben, um den Armen einen Ausgleich zu zahlen. Dieses Bürgergeld wurde jedoch von den durch die Subventionskürzungen sprunghaft angestiegenen Preisen für Energie und Nahrungsmittel direkt wieder aufgezehrt. Die Zentralbank hat dank der Öleinnahmen lange den Wechselkurs des Rial künstlich niedrig gehalten, die verschärften Sanktionen aber, unter anderem das Ölembargo gegen den Iran, waren wie ein letzter Schlag für die ohnehin schwierige Wirtschaftslage des Landes.
Von den massiven Sanktionen und der Hyperinflation sind die Regierungsmitglieder und Millionäre im Iran kaum betroffen. Das Nachsehen haben die unteren Bevölkerungsschichten, die immer ärmer werden, und das in einem Land, das die drittgrößten Ölreserven der Welt besitzt.