Israel zwischen allen Fronten
13. November 2017Es war ein geschäftiges Wochenende für Militär-Analysten und politische Kommentatoren in Israel. Am Freitag meldete sich der libanesische Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah im Fernsehen zu Wort und bezichtigte Saudi Arabien, Israel in einen Krieg mit dem Libanon drängen zu wollen. Gleichzeitig warnte er den israelischen Erzfeind davor, sich einzumischen. Am Samstag schoss das israelische Militär eine unbemannte Drohne über den besetzten Golanhöhen mit dem Patriot-Abwehrsystem vom Himmel. Die Drohne war offenbar auf einem Spähflug über der demilitarisierten Zone. Israel werde alles tun, um "gegen eine schiitische Achse in Syrien vorzugehen”, ließ Verteidigungsminister Avigdor Lieberman vermelden. Und die Tage davor waren auch hier geprägt von Spekulationen über die Hintergründe des Rücktritts des libanesischen Premierministers Saad Hariri und der diplomatischen Schachzüge des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Der baut sich gerade unter seinem Spitznamen "MBS" einen Ruf in der Region auf.
In Israel zeigte man sich überrascht über die saudischen Vorstöße, gab sich offiziell aber verhältnismäßig verhalten. Netanjahu weilte am Wochenende von Hariris Rücktritt in London. In einer Erklärung aus dem Büro des Ministerpräsidenten hieß es, dass der Rücktritt des libanesischen Premierministers ein "Weckruf für die internationale Gemeinschaft" sei, gegen "die Aggression Irans vorzugehen, das den Libanon in ein zweites Syrien zu verwandeln versuche."
"Es ist ein Konflikt über die Dominanz in der Region zweier großer Mächte, die eine ist Iran und seine hauptsächlich schiitischen Alliierten wie die Hisbollah, die andere ist die sunnitische Koalition unter Führung von Saudi-Arabien", sagt Shaul Shay, Leiter der politischen Forschungsabteilung am Interdisziplinären Zentrum in Herzliya (IDC): "Die Frontlinien sind im Jemen zu sehen, in Syrien, im Irak. Israel ist zwar nicht Teil dieser Blöcke, hat aber seine eigenen Interessen und roten Linien, die es bewahren will." Und die liegen derzeit hauptsächlich im benachbarten Syrien, wo sich das politische Machtgefüge zugunsten der iranischen Allianz verschiebt.
Keiner will Krieg - es herrscht Anspannung
Die Krise betrifft vor allem die Saudis und den Iran. "Ich denke nicht, dass Israel und die Hisbollah ein unmittelbares Interesse daran haben, jetzt in einen Konflikt gezogen zu werden", sagt Joel Guzansky, politischer Analyst am INSS-Institut in Tel Aviv. "Der Rücktritt Hariris ist nicht unbedingt im Interesse Israels, im Gegenteil. Sein Rücktritt gibt dem Iran noch mehr Einfluss." Saudi-Arabien und Israel - zwei Länder, die keine diplomatischen Beziehungen miteinander pflegen - haben einen gemeinsamen Feind: Iran. Aber das würde nicht bedeuten, dass sich Israel beeilen würde, für Saudi-Arabien über die Grenze zu marschieren, schreibt Militärexperte Amos Harel in der Tageszeitung Haaretz.
Spannung herrscht immer an der nördlichen Grenze. Jede falsche Kalkulation, so die Meinung der Analysten, könnte einen neuen Konflikt auslösen. Israel sollte sich nicht in einen "verfrühten Konflikt drängen lassen", warnt auch der frühere US-Botschafter in Tel Aviv, Daniel Shapiro. "Es wäre durchaus denkbar, dass die Saudis versuchen, einen Rahmen zu schaffen, um Iran im Libanon herauszufordern - über einen Krieg zwischen Israel und Hisbollah", schreibt der amerikanische Diplomat.
In Israel ist es kein Geheimnis, dass man davon ausgeht, dass es irgendwann zu einem neuen Krieg mit der schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon kommt. Nur den Zeitplan kennt niemand. Sicher ist nur, so ist aus militärischen Kreisen zu verstehen, dass ein dritter Libanon-Krieg eine ganz andere Schlagkraft haben würde. Die ersten Tage würden entscheidend sein, die Zerstörung auch ziviler Infrastrukturen wäre größer. Damit habe man die Lehren aus dem letzten Libanon-Krieg 2006 gezogen, aus dem keine der Kriegsparteien als definitiver Sieger hervorgegangen war. Denn auch die Bedrohung durch die schiitische Hisbollah ist weiter gewachsen: Trotz hoher personeller Verluste im Syrien-Krieg gilt die Miliz noch immer als bestens organisiert. Israelische Militärexperten vermuten, dass das Waffenarsenal seit 2006 auf mehr als 100.000 Raketen angewachsen ist.
Angst vor iranischem Einfluss
Doch Israels strategisches Interesse konzentriert sich derzeit auf die Entwicklungen im Süden Syriens. "Israel will absolut vermeiden, dass sich der Iran eine langfristige Präsenz in Syrien aufbaut", sagt Shaul Shay, Sicherheitsexperte am IDC. Denn damit rücke das Einflussgebiet Irans auch geographisch immer näher. Während des sechsjährigen Konflikts in Syrien hat Israel immer erklärt, man werde sich nicht in den Konflikt einmischen, solange bestimmte rote Linien nicht überschritten werden. Israels Strategie: Unzählige Luftangriffe auf Waffenkonvois der Hisbollah und Munitionsfabriken in Syrien.
Bis vor wenigen Monaten reagierte das Assad-Regime in Damaskus darauf meist nur mit verbalen Drohungen. Zuletzt aber schlug die syrische Armee zurück mit Boden-Luft-Raketen. Das Assad-Regime fühle sich offenbar zunehmend auf der Siegerseite und teste die Spielregeln aus, sagen israelische Militärexperten. Nicht zuletzt auch dank der militärischen Unterstützung Russlands und einer de-facto-Allianz Irans, der libanesischen Hisbollah und anderer schiitischer Milizen, die das Assad-Regime seit 2015 im Kampf gegen die Terrormiliz IS unterstützt haben.
Ob Israels bisherige Strategie aufgeht, muss sich zeigen. Ein am Wochenende veröffentlichter Bericht im britischen Fernsehsender BBC zeigte Satellitenbilder, die nach Einschätzung westlicher Geheimdienste darauf hinweisen, dass der Iran eine permanente Militärbasis in der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus aufbaue. Russland, die USA und Jordanien haben sich am Wochenende über die Situation im Süden Syriens verständigt. Man wolle die "Präsenz von ausländischen Gruppen im Süden Syriens einschränken und später ganz ausschließen". Das bezieht sich vor allem auf die Hisbollah-Miliz und andere schiitische Verbündete. Doch Israels Forderungen wurden offenbar nicht alle berücksichtigt, die Iraner weit genug weg von der Grenze zu halten, berichten israelische Medien am Montag. Das Land steht aber auch im Süden unter Druck; es könnte mit einer möglichen Eskalation konfrontiert sein. Israel hatte vor einer Woche einen Tunnel des "Islamischen Dschihads" im Grenzgebiet des Gazastreifens gesprengt und dabei zwölf Anhänger getötet. Seitdem eskaliert die Rhetorik auf beiden Seiten.