EU-Parlament will Ukraine weiter unterstützen
15. Februar 2023Von emotionaler Stimmung oder Leidenschaft wie beim Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor einer Woche konnte bei der Debatte des Europäischen Parlaments zum russischen Krieg gegen die Ukraine an diesem Mittwoch nicht die Rede sein. Letzten Donnerstag im Plenarsaal in Brüssel waren die Ränge voll. Blau-gelbe Ukraine-Flaggen, Hymnen, stehende Ovationen, Tränen. Diesmal war das Plenum in Straßburg halb leer.
Der Rückblick auf ein Jahr Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Konsequenzen für Europa daraus fielen nüchtern, fast schon routinemäßig aus. Die Rednerinnen und Redner der großen Fraktionen von Grünen bis Konservativen wiederholten die Botschaft: Der Ukraine wird mit allen Mitteln geholfen, solange es nötig ist. Russland darf diesen Krieg, in dem die Ukraine auch die Freiheit der Europäer insgesamt verteidigt, nicht gewinnen.
"Wir halten unsere Versprechen an die Ukraine"
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, listete auf, was die EU und die Mitgliedsstaaten in den vergangenen zwölf Monaten an militärischer, finanzieller und Flüchtlingshilfe geleistet haben, und kam auf die Summe von 67 Milliarden Euro. Diese Hilfe soll auch in diesem Jahr weitergehen. Der ukrainische Staat soll mit regelmäßiger Budgethilfe aus Brüssel funktionsfähig gehalten werden.
"Wir haben die Ukraine handlungsfähig gemacht, auch in ihrer dunkelsten Stunde", sagte Ursula von der Leyen. Das werde fortgesetzt. "Wir halten unsere Versprechen." Die EU könne aber noch mehr tun und werde den Zugang der Ukraine zum europäischen Binnenmarkt erleichtern. Der schnelle Weg der Ukraine zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union sei das, worauf die Menschen in der Ukraine ihre Hoffnung gründeten. "Sie glauben daran, dass die Zukunft ihres Landes und ihrer Kinder in der EU liegt", so die Kommissionspräsidentin, die eine kleine Schleife in ukrainischen Farben am Revers trug. "Wir wollen den Ukrainern eine Brücke der Hoffnung bauen."
Sanktionspaket Nummer Zehn
Einen konkreten Zeitplan für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen bot Ursula von der Leyen nicht - Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte dies noch für das laufende Jahr nachdrücklich gefordert. Sie kündigte das zehnte Sanktionspaket gegen den russischen Angreifer an. Die Botschafter der EU-Staaten beraten darüber heute in Brüssel. Das Paket soll Handelsbeschränkungen für militärisch nutzbare Ausrüstung und elektronische Bauteile im Wert von zwölf Milliarden Euro enthalten.
Zum ersten Mal werden sieben Firmen aus dem Iran sanktioniert, die Drohnen an Russland liefern. Außerdem sollen Maßnahmen ergriffen werden, um russische Scheinfirmen zu treffen, die im Nahen Osten gegründet werden, um Handelsbeschränkungen für Öl oder den Preisdeckel für Öl zu umgehen. Noch immer sind auf den Weltmeeren russische Schiffe mit Öl unterwegs, die unter der Flagge des EU-Landes Zypern fahren und pro forma Firmen in Dubai überschrieben wurden. Die Vermögen von russischen Oligarchen sollen besser aufgespürt und eingefroren werden. Menschen, die für Russland Propaganda im Internet machen, sollen aufgelistet und sanktioniert werden. Die neuen Sanktionen sollen möglichst vor dem 24. Februar, dem Jahrestag des russischen Überfalls - koordiniert mit den G7-Staaten - in Kraft treten.
Insgesamt seien die Sanktionen wirksam, versicherte die EU-Kommissionspräsidentin in der Debatte des Europäischen Parlaments. Die russische Wirtschaft leide, aber es dauere eben, bis die Sanktionen ihre Wirkungen entfalteten, meinte der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell. "Sanktionen sind ein schleichendes Gift wie Arsen", so Borrell. Russland habe seinen wichtigsten Energiekunden, nämlich Europa, verloren. Die Einnahmen aus Gas würden sinken, die Staatsschulden steigen und das Handelsdefizit mit der Welt wachsen, freute sich Borrell.
"EU - nicht von Putin erpressbar"
Der russische Machthaber Wladimir Putin habe den "Energiekrieg" verloren, weil es Europa gelungen sei, sich unabhängig von russischen Lieferungen zu machen, sagte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Putins Versuch uns zu erpressen, war ein kompletter Fehlschlag. Das sind gute Nachrichten!" Ein Jahr nachdem er den Krieg begonnen habe, seien die imperialen Fantasien Putins widerlegt. "Der legendäre Mut der Menschen in der Ukraine hat die Welt erstaunt. Sie können auf uns bauen. Wir stehen an ihrer Seite", versicherte Ursula von der Leyen.
Etwas besorgter sieht der EU-Außenbeauftragte Borrell die Lage ein Jahr nach Beginn des Krieges. Im Moment sei die militärische Situation für die Ukraine angesichts der russischen Offensive kritisch. Europa habe in den letzten Monaten zu lange mit Waffenlieferungen gezögert, räumte Borrell selbstkritisch ein. "Wir haben haben die Ukraine so gut unterstützt wie wir konnten, aber das war aus meiner Sicht nicht genug."
Die Ukraine brauche mehr Munition und mehr Training für die Truppen. Europa müsse seine Rüstungsindustrie ausbauen und seine Bewaffnung verstärken. "Dieser Abnutzungskrieg wird mit Logistik und Informationen gewonnen", sagte Josep Borrell. Der Krieg habe einen Preis für Europa, und diesen Preis müsse man für die Freiheit zahlen.
Waffen und Diplomatie im Ukrainekrieg
Die These, dass weitere Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg verlängern und Friedensverhandlungen verhindern würden, wies der oberste Diplomat der EU zurück. Parallel zu einer Stärkung der Ukraine müsse man auch diplomatische Initiativen vorantreiben. "Bislang sind aber alle Versuche, mit Putin zu reden, gescheitert", sagte Borrell. Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen. "Ein russischer Sieg wäre eine schreckliche Bedrohung für uns alle."
Der linke Europaabgeordnete Mick Wallace aus Irland warnte vor einem Nuklearkrieg, sollte die EU die ukrainischen Kriegsziele unterstützen. Der ukrainische Präsident Selenskyj wolle nur mehr Waffen, aber mache keine Anstrengungen, um Frieden zu erreichen, behauptete Wallace.
Die überwältigende Mehrheit der 705 Abgeordneten versammelt sich wohl eher hinter der Grünen deutschen Abgeordneten Terry Reintke. Sie sagte, auch wenn das Menschen ihrem Heimatland anders sehen würden, würden Waffen den Krieg nicht verlängern. "Waffen schließen Verhandlungen nicht aus." Es seien nicht die Waffenlieferungen, sondern Putin, der den Krieg verlängere, so Teri Reintke. "Es wird keine Rückkehr zum Status quo ante geben - nicht mit diesem Russland. Die gesamte Sicherheitslage in Europa hat sich verändert. Eine veränderte Welt braucht neue Antworten und nicht die alte Leier."