Jerusalem von Gewaltwelle erschüttert
13. Oktober 2015Seine Drohungen kommen jetzt täglich, fallen im Tonfall aber immer radikaler aus: Der Terror sei nicht die Folge palästinensischer Enttäuschungen über das Scheitern des Friedensprozesses, sondern entspringe schlicht dem Wunsch, "uns zu zerstören", erklärte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Parlament. Er kündigte an, die Palästinenserangriffe "mit allen Mitteln" zu beenden. Vor den Abgeordneten machte Netanjahu Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verantwortlich, sollte sich die Sicherheitslage weiter verschlechtern.
Jerusalem erlebte nach Polizeiangaben den tödlichsten Tag seit der neuen Eskalation zu Beginn des Monats. Die israelische Regierung werde umgehend "zusätzliche Maßnahmen zum harten Durchgreifen" beschließen, sagte Netanjahu. Konkrete Angaben machte er nicht.
Israelische Soldaten töteten bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Palästinensern in Bethlehem im besetzten Westjordanland einen Palästinenser. Dieser hatte nach Armeeangaben gerade eine Brandbombe gegen ein Militärfahrzeug werfen wollen. Mit dem Tod des 28-jährigen aus einem Flüchtlingslager erhöhte sich die Zahl der seit Beginn des Monats getöteten Palästinenser auf fast 30. Auf israelischer Seite wurden sieben Menschen getötet.
Und immer wieder Messerattacken
Bei einem Angriff in einem Linienbus in einem jüdischen Viertel des arabischen Ostteils Jerusalems waren zuvor zwei Fahrgäste getötet und drei weitere verletzt worden. Polizeisprecher Micky Rosenfeld sagte, an dem Überfall im Viertel Armon Hanatziv seien zwei Männer beteiligt gewesen. Der eine habe das Feuer eröffnet, der andere sei mit Messern bewaffnet gewesen. Einer der Angreifer wurde erschossen.
Wenig später raste ein Palästinenser in einem von ultra-orthodoxen Juden bewohnten Viertel Westjerusalems mit einem Rammfahrzeug in eine Gruppe Wartender an einer Bushaltestelle. Dabei gab es einen Toten und einen Verletzten. Der Fahrer stieg danach aus seinem Fahrzeug und verletzte mehrere Menschen an der Bushaltestelle durch Messerstiche, bevor er selbst durch Schüsse verletzt wurde.
Kurz zuvor hatte ein Palästinenser in der Stadt Raanana nördlich von Tel Aviv einen Passanten in der Nähe einer Bushaltestelle mit einem Messer angegriffen. Umstehende stürzten sich auf den Angreifer und überwältigten ihn, bevor die Polizei eintraf.
Jugendrevolte auch im Westjordanland und Gazastreifen
Gewalttätige Zusammenstöße zwischen israelischen Soldaten und Steine werfenden Palästinensern gab es im Westjordanland auch in Bet El bei Ramallah und in Kalandija. Im Gazastreifen bewarfen etwa tausend jugendliche Palästinenser am Erez-Übergang israelische Soldaten mit Steinen und Brandflaschen.
Die Palästinenser waren von ihrer Führung zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen worden. Die Gemeinde der arabischen Israelis, die fast ein Fünftel der Bevölkerung Israels ausmacht, rief zu einem Generalstreik auf. Tausende arabische Israelis versammelten sich in Sachnin im Norden Israels, wo sie sich mit den Palästinensern solidarisierten. Der palästinensische Außenminister Rijad al-Malki warf Israel in Genf "außergerichtliche Hinrichtungen" von Palästinensern vor.
Die seit Monaten andauernden Spannungen zwischen Palästinensern und Israelis hatten sich zugespitzt, nachdem am 1. Oktober im israelisch besetzten Westjordanland ein jüdisches Siedlerpaar getötet wurde. Die israelischen Behörden beschuldigen die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas der Tat.
Reisehinweise aus Deutschland
Nach Angaben des Berliner Auswärtigen Amts muss auch in den kommenden Tagen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen, insbesondere in Jerusalem sowie in Ramallah und anderen großen Städten des Westjordanlands und in der Umgebung von Checkpoints gerechnet werden. Das Amt empfahl Bewegungen in Jerusalem und im Westjordanland auf ein "Minimum" zu beschränken und von Besuchen der Jerusalemer Altstadt möglichst ganz abzusehen.
SC/sti (afp, dpa, APE)