Kabinett unterstützt Theresa Mays Brexit-Deal
15. November 2018Am Ende trat eine erleichtert wirkende Theresa May vor die berühmte schwarze Tür von 10 Downing Street und erklärte: "Dieser Vertrag ist der beste, den wir aushandeln konnten." Nach leidenschaftlicher Diskussion habe das Kabinett beschlossen, ihn zu unterstützen. "Ich glaube mit Kopf und Herz, dass diese Entscheidung die beste für unser gesamtes Großbritannien ist." Etwa ein Drittel der Ministerriege habe schwere Bedenken gehabt, so wurde später aus dem Treffen berichtet, eine Mehrheit habe sich schließlich nach heftiger Auseinandersetzung dafür ausgesprochen. Und die Premierministerin vermied in ihrer Erklärung ausdrücklich das Wort "einstimmig".
May als Überlebenskünstlerin
Fünf Stunden hatte die Diskussion im Kabinett schließlich gedauert, und je länger die Tür zur Downing Street verschlossen blieb, desto mehr wucherten die Spekulationen unter den wartenden Journalisten. Zwischendurch hieß es sogar, mehrere Minister seien bereit, den Rücktritt zu verkünden. Eine Pressekonferenz, die May für den frühen Abend angekündigt hatte, wurde abgesagt. War alles gescheitert? Aber die Premierministerin ist eine politische Überlebenskünstlerin und sie überstand auch diese Hürde zum Brexit, von dem sie immer wieder behauptet: "Das ist es, wofür die britischen Bürger gestimmt haben."
Kurz nachdem die Erfolgsmeldung aus London kam, veröffentlichten dann die Verhandlungspartner endlich die ganzen 585 Seiten des Scheidungsvertrages auf ihren Websites. Jetzt können auch die Minister im Einzelnen nachlesen, worauf sie sich tatsächlich einlassen. Denn in der vergangenen Nacht hatte ihnen die Premierministerin lediglich einen Blick auf den Entwurf in einem bewachten Leseraum gegönnt.
Unzufriedene auf allen Seiten
Was immer das Kabinett zunächst beschlossen hat, die Geschichte ist noch nicht vorbei. Am Mittwochabend waren die notwendigen 48 Briefe in der Tory-Fraktion im Parlament noch nicht beisammen, die eine Misstrauenserklärung gegen Theresa May in Gang setzen würden. Aber die Drohung hängt weiter über ihr. Ministerrücktritte sind weiter möglich und bis sich am Donnerstagmorgen das Parlament trifft, kann sich die Lage noch ändern.
Harte Brexiteers wie Jacob Rees-Mogg oder Boris Johnson hatten schon vorab ihren wütenden Protest gegen die Einigung geäußert. Der Scheidungsvertrag führe zu "Vasallentum" und sei eine Bankrotterklärung der Premierministerin. Ultra-Brexiteer Nigel Farage, der allerdings kein politisches Amt innehat, erklärte am Abend, dies sei "der schlechteste Deal aller Zeiten". Diese Gruppe sieht den Deal als Verrat an einem harten Brexit, der das Königreich aus allen Bindungen lösen würde.
Abgeordnete der nordirischen DUP haben bereits erklärt, dass sie den Vertrag nicht unterstützen könnten. Theresa May traf erst später am Abend mit DUP-Chefin Arlene Forster zusammen, die schon vorher mit Konsequenzen gedroht hatte, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Trotz ihres anhaltenden Widerstandes enthält der Vertrag nämlich eine Art Sonderbehandlung für Nordirland. Die Region soll enger an EU-Regeln gebunden werden als der Rest Großbritanniens, um Grenzkontrollen nach dem Brexit überflüssig zu machen.
Theresa May sagt dazu, dass dieser sogenannte "Backstop", die Rückversicherung für Nordirland, nie umgesetzt werden solle. Das künftige Verhältnis mit der EU werde das Grenzproblem lösen. Aber kaum jemand glaubt, dass die 20 Monate der Übergangsphase ausreichen, um einen neuen Handelsvertrag auszuhandeln.
Und die Brexiteers sind darüber hinaus wütend, weil es keine unilaterale Ausstiegsklausel aus dem Backstop gibt, das heißt aus der vorübergehenden Zollunion, auf der die Rückversicherung beruht. Nur beide Seiten gemeinsam können das Ende beschließen, und damit kann Großbritannien noch für Jahre an EU-Regulierung gebunden bleiben.
Der Teufel liegt im Detail
Wenn alle Abgeordneten und Politiker sich erst einmal durch die über 500 Seiten des Scheidungsvertrages gekämpft haben, dürften vermutlich weitere Haare in der Suppe gefunden werden. Der Widerstand kann sich langsam noch weiter aufbauen. So protestieren etwa die schottischen Tories dagegen, dass die Fischereifrage aufgeschoben wurde. Und die Regierungschefin Nicola Sturgeon von der SNP beklagt, dass Schottland kein besonders enges Verhältnis zur EU bekommen habe wie Nordirland.
Auch der Zugang zur EU für den Finanzmarkt wird manche unglücklich machen: Er wird nach dem Brexit deutlich eingeschränkter sein als erhofft. Und so können sich in den Einzelheiten noch weitere Punkte finden, die den Widerstand gegen den Vertrag anfeuern.
Die politische Erklärung zum zukünftigen Verhältnis dagegen ist äußerst knapp gehalten. Sie ist gerade einmal sieben Seiten lang und gibt nicht mehr als einen Umriss zu erkennen, in welche Richtung die Verhandlungen nach dem Brexit gehen werden. Denn so viel ist klar: Der Scheidungsvertrag ist nur der erste Schritt. Um die rechtliche Regelung des künftigen Verhältnisses wird erneut in zähen und langen Verhandlungen Satz für Satz gerungen werden.
Gibt es noch eine Option für "Kein-Brexit"?
Theresa May hatte in ihrer Erklärung ausdrücklich erklärt, es gebe entweder diesen Brexit-Vertrag, keinen Deal oder keinen Brexit. Das ist das Stichwort für die Unterstützer eines zweiten Referendums, die in den letzten Wochen an Fahrt gewonnen haben. Zahlreiche Labour-Abgeordnete haben inzwischen die Einigung der Regierung als schlechtest mögliche Lösung verdammt. Und Labour-Parteichef Jeremy Corbyn erklärte: "Nach dem, was ich bisher gesehen habe, ist dieser Deal nicht im nationalen Interesse."
Derzeit sagen Beobachter in London, dass Theresa May die Mehrheit fehlen könnte, um ihren Deal durch das Parlament zu bringen. Dann öffnet sich möglicherweise die Tür für ein zweites Referendum. Denn viele Briten stehen inzwischen ratlos vor diesem Brexit, der ihnen keinen der versprochenen Vorteile, aber den Verlust von Rechten, Mitbestimmung und voraussichtlich Wirtschaftskraft bringen wird. Wie Theresa May am Ende ihrer Erklärung noch sagte: "Es liegen schwierige Tage vor uns."