Anwalt kritisiert Sicherheitsgesetz für Hongkong
27. Mai 2020DW: Herr Leung, warum sind viele Hongkonger wegen der Ankündigung besorgt, dass künftig ein von Peking formuliertes und verabschiedetes Sicherheitsgesetz in der Sonderverwaltungszone gelten soll?
Barrister Wilson Leung: Die Befürchtung ist, dass Peking das neue Gesetz zur Unterdrückung von Widerspruch, Opposition und Aktivismus, auch friedlichem, einsetzen wird. Auf dem Festland geschieht das bereits, wo mit derselben Methode gegen Dissidenten vorgegangen wird.
Subversion, also Unterwanderung, ist einer der Straftatbestände, auf die das Gesetz abzielt. Damit ist die chinesische Führung bereits gegen Liu Xiaobo, Pastor Wang Yi und Wang Quanzhang vorgegangen. Es besteht die große Furcht, dass dies in Zukunft auch in Hongkong geschehen wird.
Gibt es bereits Anzeichen, dass es in diese Richtung gehen könnte?
Ja. Die (parteinahe Tageszeitung) "Global Times" hat (den pro-demokratischen Unternehmer) Jimmy Lai bereits genannt: Seine Tweets könnten durchaus als Beweise für die Untergrabung der Staatsgewalt herangezogen werden. Und der frühere Verwaltungschef (Chief Executive von Hongkong) CY Leung erklärte bereits, dass die alljährliche Mahnwache zum 4. Juni in Hongkong (Jahrestag der Niederschlagung der Studentenproteste in China 1989) unter dem neuen Gesetz verboten werden könnte.
Was sagen Sie zu der Begründung der Führung in Peking, das Gesetz sei zur Bekämpfung des Terrorismus notwendig?
Dazu sage ich, dass Diktaturen überall auf der Welt, darunter auch die der Kommunistischen Partei Chinas, die Bedrohung durch Terrorismus stark übertreiben, um die Rechte von Millionen zu unterdrücken. Sonderberichterstatter der UN haben bereits mehrmals gegenüber Peking auf die Gefahr einer zu breiten Auslegung der bereits bestehenden lokalen Anti-Terror-Gesetze in Hongkong hingewiesen, zuletzt Ende April.
Und trotz dieser bereits existierenden gesetzlichen Maßnahmen zur Abwehr von Terrorismus sehen sich die Führungen in Peking und Hongkong genötigt, das neue restriktive Sicherheitsgesetz mit einer angeblichen Bedrohung durch Terrorismus zu rechtfertigen. Man sieht also, dass das Ganze nur ein Vorwand ist.
Gab es nicht Vorbereitungen für Anschläge durch Aktivisten?
Beweise für terroristische Handlungen oder Pläne in Hongkong sind äußerst dünn. Es gab eine paar Verhaftungen aufgrund von angeblichen Bombenfunden unter zweifelhaften Begleitumständen. Bei diesen Fällen gab es zumeist keine Verbindungen zu den Protestierenden und sicher nicht zum Mainstream der Demokratie-Bewegung. Es handelt sich um die bekannte Instrumentalisierung von Schlagworten wie "Terrorismus" und "nationaler Sicherheit" zur Unterdrückung von Rechten. Angesichts der Vorgänge in der Autonomen Nordwestregion Xinjiang finde ich das höchst beunruhigend.
Glauben Sie wirklich, dass sich in Hongkong die bereits in Xinjiang mit einer muslimischen Mehrheit der Bevölkerung eingeführten Maßnahmen wiederholen könnten?
Sicher nicht, was die Anzahl der Leute betrifft, die man in Lager gebracht hat. Aber der zugrundeliegende Ansatz ist derselbe: Man übertreibt eine sehr begrenzte Anzahl von gewalttätigen Vorfällen, um viele Menschen ihrer Rechte zu berauben.
Wird es irgendwelche Möglichkeiten geben, sich gegen den Missbrauch des neuen Sicherheitsgesetzes zu wehren?
Es wird sehr schwierig werden, sich juristisch gegen einen Missbrauch dieses Gesetzes zu wehren. Zunächst einmal ist es sehr unwahrscheinlich, dass das neue Gesetz der in Hongkong geltenden "Bill of Rights" untergeordnet sein wird, welche unter anderem die Meinungsfreiheit schützt. Die Hongkonger "Bill of Rights" ist ein kommunales Gesetz auf lokaler Hongkonger Ebene. Das neue Sicherheitsgesetz ist ein Gesetz auf nationaler Ebene. Es ist mehr als zweifelhaft, ob dieses nationale Gesetz durch ein Gesetz auf lokaler Hongkonger Ebene Beschränkungen unterliegen wird.
Noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass die finale Kompetenz zur Auslegung des Hongkonger Grundgesetzes ("Basic Law") beim Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (NVK) liegt. Er könnte also sagen: "Das neue Gesetz unterliegt keinerlei Einschränkungen durch die 'Bill of Rights'." Mit einer solchen Interpretation wäre das neue Gesetz automatisch außerhalb des Geltungsbereichs der "Bill of Rights".
Welche weiteren Gefahren für den Schutz vor Willkür sehen Sie mit dem neuen Sicherheitsgesetz kommen?
Die große Furcht hier ist, dass das neue Gesetz nicht den Einschränkungen durch die in Hongkong etablierten Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte unterliegen wird. Es ist auch fraglich, ob missbräuchliche Anwendung des Gesetzes überhaupt vor Hongkonger Gerichten behandelt werden kann. Denn für die Anwendung des Gesetzes sollen ja Beamte des Festlands zuständig sein. Sollen diese im Verdachtsfalle des gebrochenen Gesetzes von Hongkonger Beamten festgenommen und verhört werden? Das ist eher unwahrscheinlich.
Die Frage ist also, ob das neue Sicherheitsgesetz völlig außerhalb des Rechtssystems von Hongkong angesiedelt sein wird oder nicht. Falls der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses eine so lautende Interpretation abgibt, sind die Hongkonger Gerichte nicht mehr zuständig.
Barrister Wilson Leung ist Rechtsanwalt am Gericht. Er studierte Politikwissenschaften und Jura an der London School of Economics, Massachusetts Institute of Technology und University of Hong Kong.
Das Interview führt William Yang.