Kein Wasser für Palästinenser im Jordantal
24. Februar 2014Die Sonne steht hoch über dem palästinensischen Dorf Al Ouja, nordöstlich von Jericho. Es ist warm, selbst jetzt, im Winter. Das Land ist fruchtbar hier in der Jordansenke, es bietet sich an für die Landwirtschaft, für Obstanbau und Viehzucht. Doch dafür bräuchte es Wasser. Den biblischen Fluss jedoch, der dem Landstrich seinen Namen gegeben hat, kann man nur in der Ferne erahnen, jenseits der grünen Dattelplantagen der israelischen Siedler.
Die Palästinenser von Al Ouja können den Jordan weder sehen noch erreichen. Sie können auch nicht von seinem Wasser profitieren. Denn das wird weiter im Norden abgepumpt, zur Bewässerung der israelischen Felder und Plantagen. Früher verfügten die Menschen von Al Ouja über eine Quelle, die ihre Brunnen speiste. Doch diese Quelle ist inzwischen versiegt. Dort, wo sie einst sprudelte und ihr Wasser in das Bewässerungssystem der lokalen Bauern ergoss, ragen jetzt dicke Rohre aus dem Boden.
Sie holen das Wasser aus den tiefen Schichten der unterirdischen Wasserader, die hier verläuft, und transportieren es in die jüdischen Siedlungen. Ein hoher Zaun umgibt die Pumpstation. Fakhri Njoum steht vor dem verschlossenen Tor. Der Bürgermeister von Al Ouja ist der Verzweiflung nahe. "Israel behauptet immer, dass es die Wüste in eine blühende Landschaft verwandelt hat", sagt er bitter. "In Wirklichkeit aber hat Israel unsere Dörfer in eine Hölle verwandelt."
Wasserkrise in Al Ouja
Al Ouja sei einst berühmt gewesen für sein frisches Quellwasser, für seine Zitrushaine und Bananen-Plantagen. "Unser Dorf war der Obstkorb Palästinas", sagt Bauer Nasser Karabi. Doch dann kamen die Siedler und gruben den Palästinensern im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Fünf israelische Siedlungen bedrängen Al Ouja nun von allen Seiten.
Ihr enorm hoher Wasserbedarf hat dazu geführt, dass die Brunnen des Dorfes ausgetrocknet sind. "Ohne Wasser kann man keine Landwirtschaft betreiben", beklagt Karabi. Das wenige Wasser, das sie selbst noch zutage fördern könnten, sei stark salzhaltig und für die Landwirtschaft nicht geeignet. Die Folge: "Die Menschen verkaufen ihr Land und ziehen weg oder suchen Arbeit in den Siedlungen."
Leben im Zelt
Inzwischen hat sich der Himmel zugezogen. Dunkle Wolken ziehen über Fasayil hinweg. Das lang gezogene Dorf nördlich von Al Ouja ist eine von 29 palästinensischen Ortschaften im Jordantal. Und wie die anderen Gemeinden in dieser Gegend leidet es unter den immer näher rückenden Siedlungen. Früher war das Dorf, in dem hauptsächlich Flüchtlinge aus anderen Regionen des Landes leben, von Gemüsegärten und Feldern umgeben. Inzwischen aber haben sich die Siedlungen Tomer und Petza'el den größten Teil des Farmlandes, das einst zum Dorf gehörte, angeeignet. Hinter hohen Zäunen bauen sie Datteln an, die auf den europäischen Markt exportiert werden. Der größte Teil von Fasayil liegt im sogenannten C-Gebiet.
In den Oslo-Verträgen wurde dieser Teil der besetzten Gebiete - 62 Prozent des Westjordanlandes - der israelischen Kontrolle unterstellt. Doch aus der temporären Regelung, die für eine Übergangszeit von fünf Jahren gelten sollte, ist ein Dauerzustand geworden. Für die Palästinenser bringt er drastische Einschränkungen. So dürfen sie im C-Gebiet nicht bauen, keine Brunnen bohren, Wasserleitungen verlegen oder die Infrastruktur ausbessern.
Die Bewohner von Fasayil haben trotzdem gebaut, denn die Familien wachsen und die Menschen brauchen Wohnungen. Ihre einzige Alternative wäre, von hier wegzuziehen, in eine der nahe gelegenen palästinensischen Städte, nach Jericho oder Tubas. Doch dann müssten sie ihr Land brach liegen lassen - und das ist der erste Schritt zur Enteignung, denn nicht genutztes Farmland wird von Israel als Staatsland eingestuft und den Siedlern zur Bewirtschaftung übergeben. Auf diese Weise verlieren die Palästinenser im Jordantal zunehmend ihr Land.
Die ohne Genehmigung gebauten Häuser, Scheunen und Stallungen werden von der Militärverwaltung unerbittlich abgerissen. Selbst Zelte, oftmals von internationalen Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt, werden niedergerissen und konfisziert. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem wurden im Jahr 2013 im Jordantal mindestens 124 Häuser abgerissen. Hunderte Menschen wurden obdachlos.
So wie Sarah Abijad. Sie lebt mit ihren zehn Kindern, Schwiegertöchtern und Enkeln - insgesamt 23 Personen - in einem Zelt am Rand von Fasayil. Vor zehn Jahren wurde die Familie von ihrem früheren Wohnort an einer Wasserquelle vertrieben. Seither lebt sie hier in einer armseligen Behausung, ohne Strom und ohne fließendes Wasser. Ein festes Haus darf sie hier nicht bauen, denn Israel hat das Gebiet zur militärischen Zone erklärt. "Wir haben schon wieder einen Abrissbefehl erhalten", erzählt Sarah Abijan deprimiert. "Aber ich habe keine Ahnung, wo wir hingehen sollen."
Arbeit in den Siedlungen
Im Dorf Jiftlik, zwanzig Kilometer nördlich von Al Ouja, kommen die Männer gerade von der Arbeit zurück. Inzwischen ist es Abend geworden, aber in den Straßen des 4000-Seelen-Dorfes gehen keine Lampen an. Denn in Jiftlik gibt es weder Strom noch fließendes Wasser, es gibt auch kaum feste Häuser. Die Menschen leben in staubigen Lehmhütten und Blechverschlägen, sie betreiben Viehzucht oder verdingen sich zu Hungerlöhnen in den Siedlungen.
Am Abend kommen sie im Arbeiterclubhaus zusammen, um über ihr Leben zu berichten. 50 bis 60 Shekel, etwa 12 Euro, verdienen sie am Tag. "Das reicht nicht", sagt Muhammad, der eine achtköpfige Familie ernähren muss. "Davon kann man nicht leben." Er rechnet vor: Ein Sack Mehl kostet 100 Shekel. Das reicht für zehn Tage. Zucker kostet genau so viel. Hinzu kommt Gas zum Kochen, ungefähr 75 Shekel die Woche. Auch Wasser kostet Geld. Für die Palästinenser, die es in Tankwagen heranschaffen müssen, ist es teurer als für die Siedler, die an das israelische Wassersystem angeschlossen sind. Und wer nebenbei noch ein wenig Landwirtschaft betreibt, braucht Dünger und Viehfutter. Hinzu kommen die Kosten für die Kinder, für Schule und Kleidung.
Seit 15 Jahren arbeitet Muhammad in einer Siedlung, notgedrungen, weil es keine andere Arbeit für die Palästinenser im Jordantal gibt. Einen Vertrag hat er nicht, eine Versicherung auch nicht und wenn er krank wird, dann bekommt er auch keinen Lohn. Aber am meisten quält ihn, dass er für Israelis arbeiten muss: "Es ist schwer, das Land, das eigentlich uns gehört, für die Siedler zu bestellen", sagt er resigniert.
Israel aber denkt gar nicht daran, das Jordantal zu räumen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte vor wenigen Wochen, dass er keinen einzigen Siedler von dort evakuieren werde. Jerusalem wies auch den Plan von US-Außenminister John Kerry zurück, der palästinensischen Autonomiebehörde schrittweise die Sicherheitskontrolle in dem Gebiet zu übertragen. Der Landstrich sei für Israel aus strategischen Gründen unverzichtbar - auch im Fall einer Friedensregelung mit den Palästinensern.