Afrikas Flüchtlingskrise
8. Februar 2019Afrikas Flüchtlinge bewegen sich. Sie fliehen zu Fuß, per Auto, mit dem Boot, innerhalb von Ländern und über Grenzen hinweg. Auch 2018 verzeichnete der Kontinent eine große Flüchtlingsmigration, doch die Afrikanische Union schafft es nicht, die Kontrolle darüber zu gewinnen. Am Sonntag (10.02.2019) kommt die AU daher erneut zusammen, um über Lösungen für die vielen Flüchtlingskrisen Afrikas zu diskutieren. Ein Thema, das schon lange dringend auf der Agenda stehen müsste, sagt Erol Yayboke. Er ist stellvertretender Direktor der US-amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. "Dass sich die AU dieses Themas annimmt, stimmt mich optimistisch. Wir Amerikaner und Europäer glauben, dass Afrika Bootsladungen von Flüchtlingen zu uns bringt, aber das ist eben nicht so. Die meisten Menschen bleiben in der Region. Und es liegt jetzt an der AU, dass afrikanische Probleme von einer afrikanischen Führung gelöst werden - das ist von immenser Wichtigkeit."
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR verzeichnete im Jahr 2018 insgesamt 30 Millionen Hilfsbedürftige auf dem Kontinent. Diese Zahl beinhaltet knapp 7,5 Millionen Flüchtlinge, 630.000 Asylsuchende, eine Million Staatenlose und rund eine halbe Million zurückgekehrter Flüchtlinge. Doch die größte Gruppe bleibt 2018 die der Binnenflüchtlinge. Über 18 Millionen Afrikaner sind Vertriebene in ihrem eigenen Land, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage oder gewillt sind, es zu verlassen.
Die trügerische Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr
Am kritischsten ist die Situation in der Demokratischen Republik Kongo. Die Anzahl der intern Vertriebenen betrug 2017 4,4 Millionen. 815.000 Kongolesen leben - Stand 2018 - als Flüchtlinge in anderen Ländern, davon 30 Prozent in Uganda, 10 Prozent in Ruanda und 9 Prozent in Tansania. "Das liegt unter anderem daran, dass dieses Land für viele zu groß zum Reisen ist", erklärt Erol Yaykobe im DW-Interview. Im Ostkongo gebe es Rebellionen, im Süden Unruhen und Ebola im Nordosten. "Es gibt keinen Ort, wohin sich diese Menschen wenden können."
Dieser Trend spielt sich nicht nur in der DRK ab: Auch in Somalia (2,7 Millionen Binnenflüchtlinge) und in Nigeria (2 Millionen Binnenflüchtlinge) übersteigt die Anzahl der im Land Vertriebenen bei Weitem die der Menschen, die aus dem Land geflüchtet sind. "Von allen Heimatvertriebenen ist die Zahl der Binnenflüchtlinge die größte", sagt Yaykobe. "Das hat zwei Gründe: Viele von ihnen hegen die Hoffnung, irgendwann wieder nach Hause zurückkehren zu können, was für den größten Teil traurigerweise niemals der Fall sein wird. Und das zweite Phänomen ist, dass diese Menschen nicht die Mittel haben, ihr Land zu verlassen. Und das macht sie zu den verletzlichsten Menschen, weil sie so lange als Binnenflüchtlinge leben müssen. Sie sind in größter Gefahr."
Rückkehrer werden zu Binnenflüchtlingen
Viele afrikanische Flüchtlinge schauen einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihnen will die Afrikanische Union helfen. Doch bisher sei sie damit nicht erfolgreich, sagt Kathleen Newland, Mitbegründerin des Migration Policy Institute und Mitglied des Verwaltungsrats der USA für UNHCR. "Man sollte der AU zugestehen, dass sie es versucht hat, aber ihre Macht ist zu begrenzt. Sie haben nicht die Ressourcen und nicht den Einfluss, um den einzelnen Ländern zu sagen, was sie tun sollen, um die Situation zu ändern." Die AU sei ein wichtiger Akteur, der gegen viel größere Mächte zu kämpfen habe, so beschreibt es auch Yaykobe. "Sie löst vorhandene Probleme nicht vollständig, und dann kommen neue dazu." Das größte Problem der Binnenflüchtlinge bleibe, dass sie von internationalem Recht kaum geschützt seinen. "Ein Flüchtling kann Asyl beantragen, ein Binnenflüchtling nicht. Außerdem kann ihn die Weltgemeinschaft nicht beschützen, da die Staatsgewalt sie nicht ins Land lässt, um diesen Menschen zu helfen", sagt Yaykobe.
Derzeit gibt es vor allem in ostafrikanischen Ländern viele Binnenflüchtlinge. In den letzten zwei Jahren scheint das Problem zunehmend auch Westafrika zu betreffen: Hatte etwa Mali 2017 mit 38.000 noch vergleichsweise wenige Binnenflüchtlinge, waren es ein Jahr später fast drei Mal so viele. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch in Burkina Faso. Auch dies sei keine Überraschung, so Yaykobe. Seiner Meinung nach liegt das an der stetig wachsenden Präsenz von Terrorgruppen wie Al-Kaida im islamischen Maghreb (AQMI). Newland betont, dass zurückkehrende Flüchtlinge oft zu Binnenflüchtlingen würden, sobald sie zu Hause ankämen. Für viele komme es nicht in Frage, sich wieder an ihrem Heimatort niederzulassen, und so ziehe es die Menschen an andere Orte.
Nur 400.000 der Flüchtlinge kehrten laut der offiziellen Statistik 2018 in ihr Heimatland zurück. Die wirkliche Zahl sei vermutlich noch geringer, sagt Yaykobe: "Menschen kehren nicht an einen Ort zurück, an dem es immer noch Probleme gibt." Eine erzwungene Rückkehr wiederum verstoße gegen Internationales Recht. "Jemand, der aus seiner Heimat zwangsvertrieben wurde, kann nicht gegen seinen Willen dazu gebracht werden, dorthin zurückzukehren."
Uganda bleibt Vorbild
Die Afrikaner, für die die Flucht ins Ausland eine Lösung ist, zieht es meist in benachbarte Staaten. Das Land, das die meisten Menschen verlassen, ist der Südsudan. Der jüngste Staat Afrikas ist geprägt von Bürgerkrieg und Hungersnot, fast 2,3 Millionen Menschen flohen von hier aus vor allem nach Uganda, Äthiopien und in den Sudan. Diese drei Staaten sind auch die Top-Zielländer afrikanischer Flüchtlinge. Uganda ist 2017 der Spitzenreiter mit einer Flüchtlingszahl von 1,4 Millionen. Im Vergleich: Drei Jahre zuvor waren es noch weniger als eine halbe Million. Das Land sei für viele Flüchtende gut erreichbar, erklärt Newland. "Uganda ist gegenüber Flüchtlingen sehr gastfreundlich, gibt ihnen Land und ermutigt sie, sich eigenständig zu machen." Doch Newland glaubt, dass es für Uganda immer schwieriger wird, diese offene Politik aufrechtzuerhalten.
Für die Afrikanische Union sei es ein langer Weg, all diese Probleme anzupacken, so Newland. "Es muss ein legaler Rahmen zum Schutz vertriebener Menschen in Afrika geschaffen werden." Doch es gebe Hoffnung für das Gipfeltreffen am 10. und 11. Februar, glaubt sie. "Ich denke, die AU wird an der Aussöhnung von Ländern wie Äthiopien und Eritrea arbeiten. Sie haben gute Ansätze und Intentionen, doch die afrikanische Flüchtlingssituation ist eine große Herausforderung, für die es vor allem eins braucht: Zeit."
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Visual Journalism Team.