Keine Jobs trotz Wirtschaftsboom
2. März 2014Sie sehen gut aus, die Zahlen über das wirtschaftliche Wachstum in Afrika: Vergangenes Jahr lag es laut einer Statistik der Weltbank bei 4,8 Prozent, in diesem Jahr soll es sogar auf 5,3 Prozent steigen. 2012 schafften es gleich vier afrikanische Staaten auf die weltweite Rangliste der zehn Länder mit den höchsten Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). Eine Erfolgsgeschichte, die seit einigen Jahren in vielen Medien immer wieder erzählt wird. Da ist die Rede vom "Löwen auf dem Sprung" oder einem "neuen Goldrausch". So beschreibt "The Economist" 2011 Afrika als einen Kontinent der Hoffnung. Nach jahrelangem langsamen Wachstum habe Afrika nun gute Chancen, in die Fußstapfen Ostasiens zu treten, heißt es in dem Artikel.
Schwarzes Gold wird schwarzes Gift
Doch mittlerweile mehren sich kritische Stimmen. Allen voran Lorenzo Fioramonti. Der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Pretoria in Südafrika beschäftigt sich mit den politischen Interessen hinter den BIP-Zahlen. Einer der vier Staaten, der die Rangliste 2012 anführte, war Libyen - dort schnellte das BIP gleich um 100 Prozent in die Höhe. "Kein Wunder, wenn in einem vom Krieg zerstörten Land nur noch ein Ziegelstein vorhanden ist, dann reicht bereits die Herstellung eines weiteren Ziegelsteines aus, das BIP zu verdoppeln", sagt Fioramonti auf einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Das BIP sei zum Problem geworden, wenn es um die Messung des wirtschaftlichen Wachstums gehe. Andere Faktoren, wie etwa die Kosten durch Umweltzerstörung, würden hierbei nicht berücksichtigt. Denn derzeit beruht der wirtschaftliche Aufschwung in erster Linie auf natürlichen Rohstoffen. Zulasten der Umwelt, wie Nnimmo Bassey, Direktor des ökologischen Think Tanks Health of Mother Earth Foundation, aus seinem Heimatland Nigeria weiß. Im Nigerdelta wurde Öl, das schwarze Gold, zu schwarzem Gift.
"Die Ölkonzerne zerstören die Umwelt, das Wasser wird mit giftigen Chemikalien verseucht, auch das Land ist verschmutzt. Die Menschen können es nicht mehr für sich nutzen", sagt Bassey. Es wird geschätzt, dass es etwa 30 Jahre dauern wird, die in Nigeria angerichteten Umweltschäden zu beseitigen. Die Ölproduktion sei nicht da, um der Bevölkerung zu helfen. "Der Profit geht an die Regierung, die ist dadurch sehr reich geworden, aber die Menschen sind weiterhin arm."
Vom Eisen zum Auto
Während einige bereits vom Ressourcenfluch reden, hält Jan Rieländer von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dagegen, man müsse überlegen, wie man die Rohstoffe besser nutzen könne. Allein der Export reiche nicht aus und mache die Länder abhängig. "Man muss in Afrika Fähigkeiten schaffen, die natürlichen Rohstoffe auch weiterzuverarbeiten", sagt Rieländer. Ein Bergbaujob könne so zu drei weiteren Arbeitsplätzen in der Lieferindustrie führen. Es müsse schließlich nicht nur beim Abbau von Eisen bleiben, daraus könne Erz gewonnen werden und am Ende die Produktion von Autos stehen.
Doch in Afrika kommen Schätzungen zufolge pro Jahr mehrere Millionen junge Menschen neu auf den Arbeitsmarkt, ohne einen Job zu finden. Solange sich dies nicht ändert, sind die guten Wachstumszahlen nicht mehr als bloße Statistik. Damit das nicht so bleibt, muss auch die Infrastruktur in Afrika ausgebaut werden, sind sich die Experten einig. "Insbesondere im ländlichen Bereich müssen Straßen gebaut werden und vor allem fehlende Elektrizität ist ein großes Problem", sagt Rieländer. Die Privatisierung des Elektrizitätssektors in Nigeria sei ein richtiger Schritt, um eine gute Versorgung zu ermöglichen.
Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen sei zudem Europa gefordert. Es müsse darum gehen, eine Wirtschaftspartnerschaft mit Afrika auf die Beine zu stellen, sagt der Chefautor des jährlich erscheinenden "African Economic Outlook". "Von deutscher Seite muss man deutschen Unternehmen Anreize geben, in Afrika zu investieren", sagt Rieländer. Es gebe dort unheimlich viel Potenzial, aber natürlich auch hohe Risiken.
Deutschlands Afrika-Strategie
Risiken, denen nach Ansicht von Robert Kappel vom Hamburger Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien nur mit dem Aufbau funktionierender Institutionen begegnet werden kann. "Ich glaube, letztendlich kommt Entwicklung und Stabilität nur von innen, daher muss man die regionalen Institutionen stärken, aber auch die Entwicklungsbanken und die Rechtsstaatlichkeit", betont Kappel. Das sei eine große Aufgabe der Europäer. Dabei vermisst der Wirtschaftswissenschaftler bei der deutschen Regierung eine zusammenhängende Strategie. Die Ankündigung einer solchen von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller reiche ihm nicht. Bisher sei offen, was sich genau hinter der neuen Afrika-Strategie verberge. Ein Schwerpunkt soll laut Entwicklungsministerium ein größeres Engagement Deutschlands in der Landwirtschaft sein.
Dies dürfte Anne Kamau freuen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin aus Kenia sieht in diesem Bereich gute Möglichkeiten, Jobs zu schaffen. "Wenn es eine Investition gibt, die hilft, die Menschen aus der Armut zu befreien, dann ist es die Landwirtschaft", sagt Kamau, die für eine Forschungsabteilung der kenianischen Zentralbank arbeitet. Dazu müssten die Banken jedoch auch mehr Kredite in diesem Wirtschaftszweig vergeben. Da es hier bislang aber keinerlei Sicherheiten gibt, schrecken die Banken davor oft zurück. "Die Regierung muss sich daher beteiligen und die kommerziellen Banken unterstützen", fordert Kamau. Da in der Landwirtschaft mehr Frauen tätig seien, müsse man dafür sorgen, dass sie ein Einkommen haben. "Denn man weiß, dass Frauen ihr Geld vor allem in ihre Kinder und deren Ausbildung und Gesundheit investieren."
Trotz all der Probleme in ihrer Heimat ist Kamau froh über die guten Wirtschaftszahlen. Auch wenn dies nicht die ganze Geschichte zeige, fühle es sich doch gut an, dass Afrika als ein Kontinent gesehen werde, der für Wachstum steht.