Kinderlieder: Singen ohne Rassismus
6. Februar 2022Die eigenen Kinder beim Singen zu erleben, ist für Eltern meist eine Freude. Aber vor allem für die Kleinen selbst ist das gemeinsame Musizieren, das Entdecken von Klang und Tönen, eine fröhliche und gute Erfahrung. Es sind nicht umsonst die ersten Lieder, ob Gute-Nacht-Lieder oder Lieder aus der Kindergarten- und Grundschulzeit, die sich besonders intensiv einprägen und oft lebenslang mit dem kindlichen Lebensgefühl verbunden bleiben.
Dies könnte ein Grund sein, warum viele Menschen im Erwachsenenalter an dem Liederkanon, den sie selbst gelernt haben, festhalten. Auch wenn mitunter Lieder dabei sind, die verletzen können, weil ihre Inhalte diskriminierend oder rassistisch sind. Während die Diskussion um Rassismus in Kinderbüchern schon lange entbrannt ist, ist die kritische Betrachtung von Kinderliedern in Deutschland relativ neu.
Welche Lieder problematisch sind und warum
"Wir sprechen nicht von besonders vielen Liedern heute, wenn man sich den gesamten Kanon anschaut", präzisiert Musikethnologe Dr. Nepomuk Riva, der an der Hochschule für Musik und Theater Hannover zur Repräsentation von Afrika in der europäischen Musik geforscht hat. Einige Kinderlieder sind ihm besonders aufgefallen, wobei viele bereits aus dem Kanon verschwunden sind, etwa "Lustig ist das Z**-Leben" oder "Heiß brennt die Äquatorsonne".
Auch "10 kleine N**lein" - ein Lied, das nicht nur das rassistische N-Wort reproduziert, sondern zugleich ein brutaler Zählreim ist, bei dem bei jeder Zahl ein Kind verschwindet oder stirbt. Ursprünglich in Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts im kolonialen Kontext entstanden, verbreitete es sich um die Jahrhundertwende im europäischen und deutschen Raum. Erst als Lied, danach als Kinderbuch, wodurch sich die rassistische Darstellung gleich verdoppelte - in Text und Bild.
Inzwischen besteht in Deutschland ein relativ breiter Konsens, dass auf solche diskriminierenden Inhalte zu verzichten ist. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte 2012 bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechter Gewalt: "Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozesses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus Worten können Taten werden." Dies haben rechtsextreme Mordserien, wie vom NSU oder in Hanau verübt, auf erschütternde Weise bestätigt. Auch wenn in Deutschland teilweise immer noch am N-Wort festgehalten wird, ist das Lied immerhin aus den heutigen Liederbüchern verschwunden.
Was ist mit dem "Muselmann"?
Anders liegt der Fall bei den Liedern "C-A-F-F-E-E" und "Alle Kinder lernen lesen". Während Expertinnen und Experten für Antirassismus (wie Tupoka Ogette, Olaolu Fajembolaoder oder Tebogo Nimindé-Dundadengar) in Deutschland sich einig sind, dass diese aus dem hiesigen Lieder-Kanon gestrichen gehören, finden sich beide Lieder noch häufig in Liederbüchern - auch wenn sie nach 2000 publiziert wurden. Dabei ist bei "C-A-F-F-E-E" klarer antimuslimischer Rassismus zu monieren: Hier wird der "Muselmann" als jemand dargestellt, der die Finger nicht von dem Getränk lassen kann. Und der Kaffee sei sowieso ein "Türkentrank".
Indigene Völker: Komplexität statt Wild-West-Romantik
"Alle Kindern lernen lesen" gehört heute vielerorts noch durchaus zum Liederkanon von Vorschuljahr oder Grundschulzeit. In diesem werden koloniale Fremdbezeichnungen wie "Indianer” und "Eskimos" reproduziert. Das Problematische seien aber nicht nur die Begriffe (in den USA hat sich als politisch korrekte Bezeichnung "Native Americans" oder "First Nations" etabliert), sondern vor allem die Stereotypisierung, mit der sie meist einher gehen. Das werde, "der Vielfalt der indigenen Nationen Nordamerikas noch nicht einmal ansatzweise gerecht", so die "Native American Association of Germany" auf ihrer Webseite.
Sensibilisierung im Hinblick auf Stereotype und Abwertungen ist gerade bei Inhalten für Kindern wichtig. Die Verlage sind hier besonders gefragt. Sie müssen diesen rassistischen Tendenzen mit Diversität und Antirassismuskompetenz im Lektorat entgegen wirken.
"Die Affen rasen durch den Wald" - rassistischer Streitfall?
Anfang 2022 wurde in deutschen Medien debattiert, wie es um den Rassismus im Kinderlied "Die Affen rasen durch den Wald" stehe - und war sich sichtlich uneins. Inhaltlich wird im Lied eine - sehr menschliche - Affenfamilie beschrieben, die eine Kokosnuss sucht, die gestohlen wurde. Am Schluss war niemand der Dieb, das Affenbaby hatte die Nuss in der Hand. Das Vorurteil ist - zumindest im Lied - entkräftet.
Doch im historischen Entstehungskontext liest sich das anders. "Die ersten Aufnahmen sind in den 1950er und 1960er Jahren zeitgleich mit der Verbreitung afroamerikanischer Rock'n'Roll-Musik entstanden", so Riva. Wahrscheinlich war es also durchaus mit rassistischen Konnotationen versehen. Menschen afrikanischer Herkunft in die Nähe von Affen zu schieben und so zu entmenschlichen, war ein koloniales Mittel zur Abwertung, Ausbeutung und Ermordung von Menschen. Solange noch heute bei Fußballspielen schwarze Spieler durch Affenlaute und Bananenwürfe rassistisch beleidigt werden, bleibt diese rassistische Verbindung präsent - und könnte verletzend eingesetzt werden. Riva plädiert deshalb dafür, den Einsatz des Liedes zu überdenken.
"Chinesen” und "Japanesen”
Auch das Lied "Drei Chinesen mit dem Kontrabass” findet sich heute noch in vielen Liederbüchern. Der kurze Reim hat nur drei Sätze:
"Drei Chinesen mit dem Kontrabass saßen auf der Straße und erzählten sich was. Da kam die Polizei und fragt: Was ist denn das? Drei Chinesen mit dem Kontrabass."
Bei Betrachtung des Entstehungskontextes wird die diskriminatorische Ebene schnell deutlich, führt Nepomuk Riva aus. Das Stück entstand um 1900 in Berlin, im Kontext von Weltausstellung und Kolonialschauen. Ursprünglich war in dem Lied von "Japanesen" die Rede; der Text schilderte Fremde, die auf der Straße die Aufmerksamkeit der Polizei erregten.
Rivas Forschungen haben ergeben, dass erst nach dem Bündnis von Japan mit Deutschland im Zweiten Weltkrieg umgetextet wurde, und aus den "Japanesen” nun Chinesen wurden. Dann wurde das Lied mit Vokalverschiebungen erweitert, es wird immer wieder gesungen, aber jeweils alle Vokale dann durch a - e - i - o - u ersetzt. Der Singsang der dabei entsteht, kann nur als höhnische Nachahmung der chinesischen Sprache gemeint sein, so Riva.
Sprache teilen - statt veralbern
Einige ähnlich funktionierende Lieder mit Nonsens-Sprache sind aufgrund ihrer klaren Kontexte verschwunden, etwa "Guni guni watschambo” aus den Zeiten nationalsozialistischer Herrschaft. Andere ungeklärter Herkunft wie "Aramsamsam” sind heute noch in Kitas beliebt. Das lautmalerische Lied ahmt die arabische Sprache nach und Gebetsgesten von Muslimen.
"Diese Nachahmung einer Sprache oder Phantasieren über eine fremde Kultur war vielleicht in Zeiten noch nachvollziehbar, in denen es wenig direkten Austausch gab", argumentiert Musikethnologe Riva. Aber heute säßen doch in fast jeder Kita und Grundschule Kinder mit asiatischen, arabischen oder afrikanischen Elternteilen. "Die werden dann später mit diesen Liedern aufgezogen oder gemobbt, es gibt da so viele Beispiele", so Riva.
Anstatt sich in der Debatte an dieser Stelle im Kreis zu drehen, schlägt Riva vor, das Feedback Betroffener ernst zu nehmen und sich stattdessen anderer Mittel zu bedienen: "Es gibt einen sehr reichen Schatz an internationalen Kinderliedern, ohne Diskriminierung, und in der Landessprache." Damit können andere Kulturen und Sprachen von den Kindern gemeinsam im Gesang erlebt werden, ganz ohne Diskriminierung.