Völkerschauen: Rassismus als Spektakel
8. Januar 2022Irgendwo hinten im weitläufigen Park des Brüsseler Vororts Tervuren waren sie untergebracht - eingepfercht wie in einem Streichelzoo: 267 Frauen und Männer aus der damals belgischen Kolonie Kongo. Auf Geheiß von König Leopold II. nach Belgien gebracht, drapiert unter den Strohdach-Hütten eines Fake-"Kongo-Dorfes", um vom europäischen Publikum bestaunt zu werden. Bei der Weltausstellung 1897 kamen bis zu 40.000 Besucher am Tag, um sie voller Sensationsgier anzugaffen. Zur Bilanz der Schau gehörten aber auch sieben tote Kongolesen.
Um ihrer zu gedenken, hat das Königliche Museum für Zentralafrika Tervuren, das auf dem Gelände der damaligen Völkerschau entstand, die Sonderausstellung "Human Zoos - Die Ära der Kolonial-Ausstellungen" initiiert ( zu sehen noch bis zum 5. März 2022).
Überlegenheitsanspruch der Kolonialmächte
Belgien wurde erst relativ spät zu einer großen Kolonialmacht. Auf der Berliner Afrika-Konferenz von 1884 und 1885, wo 14 europäische Nationen den Kontinent unter sich aufteilten, bekam der belgische König den Kongo als Privatkolonie zugesprochen - eine Fläche, die 80 Mal so groß war wie sein Heimatland.
Sein damaliges Afrika-Museum und die eingangs erwähnte Völkerschau machte den Besuchern schon am Eingang den vermeintlichen Überlegenheitsanspruch des Europäers klar: "Belgien bringt dem Kongo die Zivilisation" stand dort auf dem Messingschild unter einem goldenen Bildnis Leopolds mit zwei dankbaren schwarzen Kindern. Die Wirklichkeit sah anders aus: Rücksichtlos wurden die Rohstoffe des Kongos ausgebeutet, die Menschen als Arbeitskräfte missbraucht - oder eben als exotisches Naturwunder bestaunt.
Großer Andrang bei Völkerschauen
Der Andrang auf den Menschenzoo sei enorm gewesen, so der Historiker und Anthropologe Maarten Couttenier, einer der drei Kuratoren der Brüsseler Schau, gegenüber der DW: "Sie präsentierten Menschen aus dem Kongo buchstäblich als Höhlenmenschen, die immer in Bast-Röckchen tanzen und primitive Begierden haben. Sie wurden nicht als Intellektuelle oder Künstler oder einfach als normale Menschen gezeigt."
Das sei allerdings kein regionales Phänomen gewesen, ergänzt Couttenier. "Wir zeigen, dass Menschen aller Völker ausgestellt wurden: Europäer, Afrikaner, Amerikaner. Und man hat sie überall gezeigt, in Europa, Amerika, Japan auch in Afrika." Der Mechanismus dabei sei stets der Gleiche gewesen: "Man konnte "das Andere" sehen und sich überlegen fühlen."
Pseudowissenschaft der Rassetypen
In der Blütezeit des europäischen Kolonialismus zogen diese als "Menschenzoos" bezeichneten Ausstellungen mit Afrikanern, "Rothäuten", "Feuerländern" oder skandinavischen Samen durch die Lande - als eine Art Wanderzirkus zur Volksbelustigung.
Gleichzeitig standen sind unter den "wissenschaftlichen" Vorzeichen einer kruden Anthropologie, wie Hölzels Schaubild der "Rassetypen" von 1903 zeigt: Rassistische Überlegenheitsfantasien degradierten außereuropäische Menschen auf eine Stufe mit Affen; die Kolonialmächte waren von der eigenen "zivilisierten Überlegenheit" überzeugt.
In Deutschland entdeckte der Hamburger Tierhändler und Zoo-Gründer Carl Hagenbeck sogenannte "Völkerschauen" als Geschäftsmodell. Und der Jahrmarkt-Schausteller Friedrich Wilhelm Siebold präsentierte noch 1931 auf dem Münchner Oktoberfest die Ausstellung "Kanaken der Südsee".
"Zurückgeschaut"- postkoloniale Ausstellung in Berlin
Die erste sogenannte "Colonial-Ausstellung" in Deutschland fand 1896 im Rahmen einer Gewerbeschau in Berlin statt: Im Park des Stadtbezirks Treptow baute man ein Dorf, das von der Lokalpresse einen für Schwarze erniedrigenden Namen erhielt.
Mehr als 106 Afrikaner waren in den damaligen deutschen Kolonien unter falschen Versprechungen angeworben worden, um sich dann über sieben Monate als vermeintliche Dorfbewohner in exotischen Kostümen dem staunenden Publikum präsentieren zu müssen. Zugleich wurden sie wiederholt öffentlich demütigenden medizinischen oder "rassekundlichen" Untersuchungen unterzogen.
Eine aktualisierte und im Oktober 2021 neu eröffnete Dauerausstellung im Museum Treptow beleuchtet dieses dunkle Kapitel und zeichnet, sofern bekannt, die Biografien der zu Objekten reduzierten Menschen nach. Sie zeigt auch, wie die Kolonialherren plötzlich auf Widerstand stießen. Denn viele der Ausgestellten seien aus der ihnen zugewiesenen Rolle ausgeschert - etwa Kwelle Ndumbe aus Kamerun: Er kaufte sich ein Opernglas und starrte seinerseits das Publikum an. Nicht umsonst heißt die Ausstellung "Looking back / zurückgeschaut".
Der kolonialistische Blick heute
Das den "Menschenzoos" zugrunde liegende Konzept des rassistischen Blicks existiert bis heute, glaubt Maarten Couttenier. Er habe Kollegen mit dunklerer Hautfarbe, die wirklich jeden Tag - zumal bei der Wohnungs- oder Jobsuche - damit konfrontiert seien.
"Es ist immer derselbe Mechanismus: Eine Andersartigkeit definieren, um sagen zu können: 'Ich bin besser als du'. Das ist nicht angeboren. Kleine Kinder sind keine Rassisten. Wir erziehen unsere Kinder dazu, Menschen als anders und minderwertig zu betrachten."