Kläger und Richter über Griechenland
3. Juli 2015Wenn ein Unternehmen oder eine Privatperson bankrott geht, sind die weiteren Schritte gesetzlich klar geregelt. Die Sache kommt vor den Richter, und eine neutrale Instanz, also nicht die aufgebrachten Gläubiger, bestimmt den weiteren Verlauf.
Nicht so bei Griechenland. Hier sind es die Gläubiger selbst, die über den Schuldner zu Gericht sitzen. Sie versuchen dabei, ihre Interessen zu wahren und nennen das "Rettung", während das Gesprächsklima von Misstrauen und Vorwürfen vergiftet ist.
Der Philosoph Jürgen Habermas sieht hier ein Versagen der europäischen Politiker: "Sie sehen zwar wie Politiker aus, lassen sich aber nur in ihrer ökonomischen Rolle als Gläubiger sprechen", so Habermas in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung.
Widerstand der Banken
Die gescheiterten Verhandlungen haben gezeigt, wie problematisch die Mehrfachrolle der Eurostaaten ist: Als Gläubiger wollen sie dem Schuldner die Sparauflagen diktieren und deren Umsetzung auch noch selbst kontrollieren. Dass mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Organisation beteiligt ist, die auf überschuldete Staaten spezialisiert ist, lässt den Interessenkonflikt der Europäer nur deutlicher werden.
Der IWF drängte schon Anfang der 2000-er Jahre auf ein Insolvenzrecht für Staaten – bisher vergeblich. "Damals haben sich die internationalen Banken dagegen gestemmt", sagt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. "Die Banken wollten lieber, dass der IWF mit Krediten einspringt, damit sie ihr Geld vollständig zurückbekommen", so Mayer gegenüber DW. Er kennt die Position der Finanzindustrie, bis 2012 war er Chefvolkswirt der Deutschen Bank.
Es gibt weitere Einwände gegen ein Insolvenzrecht. Dazu gehören rechtliche Fragen, wie stark etwa in die Souveränität eines Staates eingegriffen werden darf. Doch dieses Problem besteht ohnehin: 2011 verboten Deutschland, Frankreich und andere Euroländer dem damaligen griechischen Premierminister Giorgos Papandreou, sein Volk über den weiteren Kurs in der Schuldenkrise abstimmen zu lassen.
Staatspleiten galten zudem lange als Problem von Entwicklungsländern. "Ein Insolvenzverfahren für die Eurostaaten wurde zwar diskutiert, aber nie umgesetzt", sagt Mayer. "Man brauchte es nicht, weil Griechenland angeblich ein Einzelfall ist."
Angst vor den Wählern
Da es kein Insolvenzverfahren gibt, drängte der IWF zumindest auf einen weiteren Schuldenerlass für Griechenland. Schließlich gehen Ökonomen davon aus, dass die gewaltigen Schulden des Landes niemals vollständig zurückgezahlt werden können.
Doch die Europäer wollen davon nichts wissen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen sind Politiker genug, um Angst vor den Wählern zu haben. Nachdem die großen Banken ihre faulen griechischen Kredite mit Hilfe der Politik abgestoßen haben, präsentiert sich Merkel als Schutzheilige der deutschen Steuerzahler, die ihr Geld nicht in Griechenland versenken wollen.
Den Vorschlag, wenigstens einen Teil der griechischen Verpflichtungen in den Rettungsschirm ESM auszulagern, bekämpfte Merkel ebenso, schließlich haften auch dafür die Steuerzahler. Die moralische Botschaft der Kanzlerin an die Griechen: Schulden müssen zurückgezahlt werden.
Lektionen aus Deutschland
"Das ist doch ein großer Witz!", sagt dazu der französische Ökonom Thomas Piketty in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. "Deutschland ist das Land, das nie seine Schulden bezahlt hat. Es kann darin anderen Ländern keine Lektionen erteilen."
Beim Londoner Schuldenabkommen von 1953 erließen die Gläubiger, darunter auch Griechenland, der jungen Bundesrepublik ein Großteil der Schulden – und machten so das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit erst möglich.
Auch wenn Deutschland und andere Euroländer dagegen sind: "In irgendeiner Weise wird es einen weiteren Schuldenschnitt geben", glaubt Johannes Mayr, Volkswirt bei der Bayerischen Landesbank. "Der kann entweder explizit stattfinden oder – und das ist wahrscheinlicher - das Problem wird über eine weitere Laufzeitverlängerung in die Zukunft verschoben."
Maximaler Schaden, keine Lösung
Die Neigung der europäischen Politik, Probleme zu vertagen und auf Zeit zu spielen, führt zu bizarren Entwicklungen. Das zeigt ein Beispiel aus den monatelangen, letztlich gescheiterten Verhandlungen zwischen Griechenland und der Eurogruppe.
"Während wir über 7,2 Milliarden Euro verhandelt haben und uns nicht über die Konditionen einigen konnten, haben die griechischen Banken 90 Milliarden Euro Notkredite ganz ohne Konditionen erhalten", sagt Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute. Gemeint sind die Notfallkredite, die mit Zustimmung der EZB von der griechischen Zentralbank vergeben wurden.
Mayer erwartet, dass beim griechischen Referendum eine Mehrheit für den Sparkurs stimmt. Nach anschließenden Neuwahlen könnten dann Verhandlungen für ein weiteres Hilfsprogramm beginnen. Der IWF schätzt den Finanzbedarf auf mehr als 50 Milliarden Euro.
Maximaler Schaden ohne Lösung des Problems - genau das sollen Insolvenzverfahren oder zumindest Schuldenschnitte verhindern. Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis sich diese Einsicht auch in Europa durchsetzt.