Kolumne: Alarmstufe Grün in Berlin
16. April 2017Armer Osterhase! Früher muss es mehr Spaß gemacht haben, durch die Grünanlagen von Berlin zu hoppeln. Doch dort, wo es vor Jahren noch bunt und üppig zuging, wo man das eine oder andere Ei noch unterschieben konnte, herrscht heute Tristesse. Demolierte Rasenflächen, Müll vom Feinsten, Bäume und Sträucher im Trockenstress. Und blühende Blumen? Die Friedhöfe sind da die letzte Zufluchtsstätte. In öffentlichen Parks, von denen Berlin ja sehr viele hat - Tiergarten, Volkspark Friedrichshain, Viktoriapark, Mauerpark und wie sie alle heißen - sucht man Blühendes meist vergebens.
Grün in fünf Minuten
2500 öffentliche Grünanlagen hat Berlin, darunter großflächige Parks in nahezu jedem Stadtteil. Dazu kommen 161 Quadratkilometer innerstädtischer Wald, ein umfangreiches Wassernetz und jede Menge verwilderte Brachflächen. Der Berliner braucht in der Regel nicht mehr als fünf Minuten, um zum nächstgelegenen Grün zu gelangen.
Sind das nicht Zahlen zum Niederknien? Denkste! Berlin sei die grünste Metropole Deutschlands, höre ich jetzt aus stolzem Politikermund. Die am 13.04.2017 eröffnete Internationale Garten Ausstellung (IGA) in Berlin-Marzahn lässt grüßen - und die Volksvertreter zu rhetorischer Hochform auflaufen.
Doch die Journalistenkollegen der Berliner Morgenpost haben mal nachgerechnet und Satellitenfotos ausgewertet: Nicht Berlin, sondern Hamburg gebührt der grüne Pokal. Berlin ist da - wie so oft - Mittelmaß.
Es ist längst nicht alles grün, was glänzt: Wenn es um die Straßenbäume geht, wird Berlin wohl nie eine Millionenstadt. Um die 400.000 sollen hier stehen. Doch während Berlins Bevölkerung rasant wächst, ist der Bestand an grünenden Straßenbäumen rückläufig. Erst im letzten Jahr wurden wieder mehr als 5000 Exemplare gefällt. Der Kahlschlag auf Berlins Straßen und Alleen zeigt: Die IGA ist das High-End Produkt, der grüne Berliner Alltag wird dagegen zunehmend grauer.
Selbst im Vorzeige-Park des Charlottenburger Schlosses haben die Blumenrabatten schon bessere Tage gesehen. Hier ein Stiefmütterchen, dort eine Osterglocke. Ob das schon reicht, um beim Osterhasen Heimatgefühle zu wecken? Sollte der es über staubige Wege überhaupt bis zur raren Blumenpracht schaffen? Sicherlich: Der Schlosspark ist noch weit entfernt davon, der Wüste Gobi den Rang abzulaufen. Andere Berliner Parks sind da schon weiter und machen prächtige Fortschritte auf dem Weg zur Versteppung.
Liebevolle Vernichtung
Dass es dem Berliner Grün so schlecht geht, hat viele Gründe. Die Grünämter sind personell ausgedünnt. Gefürchtet sind die engagierten Pflegekolonnen aus dem zweiten Arbeitsmarkt, die jahrelang gehegte Pflanzenarrangements innerhalb eines Vormittags liebevoll vernichten.
Und was bleibt, wird an den Wochenenden von sonnen- und fleischhungrigen Berlinern geflutet und begrillt. Früher war Hausbesetzung, jetzt ist Parkbesetzung angesagt. Was den Berlinern, die oftmals in balkonlosen Kleinwohnungen leben, nicht zu verdenken ist. Man sieht dann keine Wiese mehr, sondern nur noch Menschen – und am Ende Müllberge. So lieblich duftet Berlins grüne Lunge!
Hinzu kommt der Bauboom. Er macht dem Grün das Leben zur Betonhölle. In Berlin wird sehr teuer gebaut, wie etwa die Europacity am Hauptbahnhof. Doch wenn man sich die zahnstochergroßen Baum-Stecklinge rundherum anschaut, muss man die ersten 20 Jahre schon zittern, ob daraus wirklich mal Bäume werden.
Eichenprozessionsspinner-Alarm
Als wenn das nicht genug wäre, nimmt auch der Klimawandel das arg strapazierte Berliner Grünzeug in die Zange: Immer längere Warm- und Trockenperioden machen es anfällig für Schädlinge.
Ein besonders dankbarer Klima-Profiteur ist der Pseudonomas-Pilz, der Berlins Kastanien reihenweise umlegt. Gäbe es nicht den chronischen Personalmangel, müsste auch viel häufiger Eichenprozessionsspinner-Alarm ausgerufen werden. Um die anhänglichen Tierchen von den Stämmen abzusaugen, bevor sie Baum und Mensch (Hautausschlag!) gefährlich werden.
So, und jetzt kommt eine ganz verwegene Idee: Wie wäre es, wenn Berlin den Wert des Grüns neu schätzen lernt? Ist das zu naheliegend, um eine Chance zu haben? New York hat das vorgemacht. Manhattan glich einst einer Steinwüste, bevor die Stadt den äußeren Ring zum Hudson und East River hin begrünt hat. Und eine Bürgerinitiative machte aus verlassenen Schienenwegen eine spektakuläre grüne Attraktion: die High Line.
Alle sind also gefragt: Bürger, Bauwirtschaft, Bürgermeister! Damit nächstes Jahr der Osterhase nicht doch noch einen Bogen um Berlin macht.