Kolumne: Berlins Kunstsammlungen
26. März 2017Die "Feuerle Collection" ist bombensicher. Sie befindet sich tief unter der Erde in einem ehemaligen Telekommunikationsbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Bevor man das erste Exponat sieht, muss man viele Treppenstufen hinuntersteigen, mitten hinein in die Dunkelheit der Kellergewölbe.
Dort, zwischen massiven Betonwänden, sparsam beleuchtet, entdeckt man kaiserlich-chinesische Möbel, alte Khmerskulpturen aus dem 7.-13. Jahrhundert - und dazwischen zeitgenössische Kunst.
Die Faszination der Feuerle Collection
Das ist es, was mich an der Sammlung von Désiré Feuerle fasziniert, der mit einer Galerie in Köln anfing und heute als Kunstsammler- und berater in Asien lebt: Er hat hier im Bunker seine einzigartige Begabung ausgespielt, die Sinne des Betrachters so zu schärfen, wie ich es noch nicht erlebt habe.
Nachdem ich durch düstere Treppenhäuser ganz tief hinunter geleitet werde, komme ich an eine dicke Panzertür und gelange dahinter in den vollständig verdunkelten "Sound Room". Meine Wahrnehmungsschwelle sinkt, geht gegen Null. Ich höre plötzlich feine Geräusche, eine Art Musik. John Cage, wie ich später erfahre.
Und dann der Blick in den Ausstellungsraum: Für mich wird er zur Sensation. Ich sehe eine erste feingliedrige Khmerskulptur, dann eine zweite, daneben eine einfache Bank, ein Gelehrtenmöbel aus der Han-Dynastie. Nicht weit daneben eine silbrig changierende Arbeit des britischen Fotografen Adam Fuss. Wie das zusammenpasst? Das muss jeder selber herausfinden. Aber ich habe diese Schwingungen, diese feine Interaktion zwischen den Kunstwerken aus mehreren Jahrhunderten und Kulturen gespürt und gebannt angeschaut.
Danke Désiré Feuerle! Sie haben mich gelehrt, Kunst neu zu sehen und neu zu empfinden.
Machos im Salon Dahlmann
In der lichten Beletage des Berliner Gründerzeithauses im feinen Stadtteil Charlottenburg geht es handfest zur Sache: Lederkerle, Muskelprotze, Machos in Uniform. Und immer wieder gigantische Penisse. Wir sind im Salon Dahlmann des finnischen Unternehmers Timo Miettinen. Er stellt in seinem Ausstellungsraum Salon Dahlmann die Zeichnungen des wohl berühmtesten Künstlers seines Heimatlandes, Touko Laaksonen alias Tom of Finland, aus.
Tom hat eine kraftvolle schwule Ikonographie geschaffen, die manche noch heute provoziert. Doch, ich sag es ganz offen: Ich mag diese drastischen Darstellungen von ungezügelter männlicher Sexualität. Lange wurden sie in die pornografische Schmuddelecke abgeschoben. Erst Mitte der 70er-Jahre gab es eine erste Ausstellung.
Ich bewundere den Mut von Touko Laaksonen, der schon in den schwulenfeindlichen 50er- und 60er-Jahren so frei zeichnete. Aber auch Miettinen traut sich was: Selbst im ach so liberalen Berlin hat sich bis heute kein Museum an eine Ausstellung über Tom of Finland herangewagt. Deswegen hat Timo Miettinen recht, wenn er sagt: "Heute ist das ein politisches Statement." Das passt auch ganz gut in das Konzept seines "Salon Dahlmann", den er vor fünf Jahren gemeinsam mit seiner Frau gründete. Begegnung und Gespräche will er hier initiieren. Als er Mitte Februar anlässlich der Tom of Finland-Ausstellung Berlins schwule Community zum Cocktail einlud, war das Interesse überwältigend.
Die imposante Sammlung Olbricht
Sie ist der Mercedes unter den Berliner Privatsammlungen. Mit mehr als 5000 Exponaten alter und zeitgenössischer Kunst aus allen Malschulen und Himmelsrichtungen sucht die Sammlung Olbricht selbst in Europa ihresgleichen. Wenn das nicht imposant ist! Als ich inmitten der Galerieszene in Berlin-Mitte den "me collectors room" von Thomas Olbricht betrete, geht es aber gar nicht ehrfurchtsvoll zu. Eine Schulklasse strömt mir entgegen, mit Block und Bleistift in der Hand. Dieser Sammler macht etwas, was kein anderer so konsequent betreibt. Und das imponiert mir mehr als schiere Größe: Jeden Vormittag kommen Grundschulklassen hierher, beschäftigen sich mit der temporären Ausstellung oder bestaunen Olbrichts zweites Sammlungs-Standbein: seine Wunderkammer, die der Idee des barocken Kuriositäten-Kabinetts folgt. Von mittelalterlichen Messobjekten bis zum Bild einer schwarzen Amazone ist das viel Augenfutter für die Kids.
Mit der temporären Ausstellung "My abstract world", in der Olbricht aus dem Fundus seiner Sammlung schöpft, dürften sie sich schwerer tun. So jedenfalls geht es mir und ich frage die Pressesprecherin nach dem roten Faden, der die 67, meist großformatigen Werke so unterschiedlicher Maler wie Gerhard Richter, Bernard Frize oder Sigmar Polke verbindet. Das seien die Favoriten des Sammlers, entgegnet sie mir. Ok, das muss man erst einmal verstehen und sich darauf einlassen.
Doch auch hier greift Olbricht zu einem Kniff, der die Zugangsbarrieren senkt: Überall im Raum laden Sofas und Zeitschriften zum Verweilen ein. Und dann ist da noch ein rotes Telefon auf dem Tisch: Auf Anruf wird ein Espresso aus dem benachbarten Kaffee serviert. Dieser Service bringt mich zu einer anderen Überschrift für diese Kolumne: Anstelle "Meine liebste Kunstsammlung" müsste es heißen: "Mein liebstes Wohnzimmer".