Auf dem rechten Auge doch nicht blind
2. Oktober 2018Parallelen zwischen der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und der Vereinigung "Revolution Chemnitz" sind unverkennbar. Beide eint ihre rechtsextremistische Gesinnung und die Bereitschaft, Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Beim NSU mündete diese Geisteshaltung in zehn Morde und drei Bomben-Anschläge mit vielen Schwerverletzten. Verbrechen ähnlichen oder vielleicht sogar darüber hinausgehenden Ausmaßes haben Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden jetzt womöglich verhindert.
Die Festnahme sechs Verdächtiger am Montag war dringend geboten, weil polizeiliche Erkenntnisse offenbar auf konkrete Anschlagspläne am bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober hindeuteten. Der gravierendste Unterschied zum NSU ist die Entschlossenheit, mit der staatliche Stellen auf eine sich abzeichnende Gefahr reagierten. Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Polizei, Verfassungsschutz und Justiz haben bei aller weiterhin berechtigten Kritik nämlich aus ihren Fehlern erkennbar gelernt.
Keine Toleranz bei rechter Gesinnung in Amtsstuben
Das war beim 1998 in den Untergrund abgetauchten NSU noch völlig anders. Dessen Spur verlor sich, obwohl Szene-Spitzel des Verfassungsschutzes (V-Leute) nachweislich Hinweise auf den Aufenthaltsort der Gesuchten und deren Gewaltbereitschaft gegeben hatten. Harte Kritik an den Sicherheitsbehörden war damals berechtigt: Sie hatten das mörderische Treiben der erst 2011 durch Zufall aufgeflogenen Terror-Gruppe durch fragwürdige Ermittlungsansätze begünstigt.
So wurden Rassismus und Hass auf Ausländer als Tatmotiv über Jahre hinweg praktisch ausgeschlossen. Wohl auch deshalb, weil rechtes Gedankengut in sächsischen Sicherheitsbehörden offenbar keine Seltenheit ist. Empörende Beispiele dafür gibt es nach wie vor: So sollen sich verdeckt arbeitende Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdoğan den Tarnnamen Uwe Böhnhardt gegeben haben. So hieß einer der NSU-Terroristen. Er hat sich 2011 mutmaßlich das Leben genommen, um seiner Festnahme zu entgehen.
Die "Gruppe Freital" bekam die neue Härte zu spüren
Die vermeintlich witzigen, in Wirklichkeit aber erschreckend primitiven Polizisten mit dem Alias-Namen eines Mörders werden jetzt hoffentlich die harte Hand ihres Arbeitgebers zu spüren bekommen. Aber aus solch skandalösen Fehltritten zu schlussfolgern, die Polizei Sachsens sei komplett auf dem rechten Auge blind, wäre ehrenrührig. Das schnelle und kompromisslose Agieren im Fall der am Montag aufgedeckten Vereinigung "Revolution Chemnitz" ist der jüngste Beleg für die Lernfähigkeit der Sicherheitsbehörden. Das gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Auf dieser Ebene hatte es bei der missglückten NSU-Aufklärung besonders gehapert.
Viel besser klappte es dann, als die ebenfalls aus Sachsen stammende "Gruppe Freital" ins Visier der Ermittler geriet. Die rechtsterroristische Vereinigung hatte sich 2015 im Zuge der massenhaften Einwanderung von Flüchtlingen gebildet. Ihre Mitglieder wurden im vergangenen März zu hohen Gefängnis-Strafen verurteilt. Das gilt auch für die meisten Angeklagten im NSU-Prozess, der im Juli zu Ende gegangen ist.
Das Aufräumen in den eigenen Reihen muss weitergehen
Die Zeit der zuweilen milden Urteile gegen Rechtsextremisten ist vorbei. Der Verfolgungsdruck und härtere Strafen entfalten aber anscheinend noch nicht den erhofften Abschreckungseffekt. Sonst hätte es so kurze Zeit nach dem Auffliegen und Aburteilen des NSU und der "Gruppe Freital" keine "Revolution Chemnitz" geben dürfen. Davon aber sollten sich Justiz und Sicherheitsbehörden nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: Sie müssen ihren Blick für den Rechtsextremismus weiter schärfen und unnachgiebig gegen Sympathisanten in den eigenen Reihen vorgehen. Nur so gewinnt man in der Bevölkerung verlorenes Vertrauen zurück.