Die USA vergrößern das Chaos in Nahost
"Wenn Amerika sich aus dem Nahen Osten zurückzieht, entsteht Chaos", erklärte US-Außenminister Mike Pompeo am Donnerstag bei einer Grundsatzrede zur amerikanischen Nahost-Politik in Kairo. Mit diesen Worten wollte er eigentlich verbündete Regime der USA in der Region beruhigen. Diese waren höchst irritiert, als US-Präsident Donald Trump kurz vor Weihnachten einen "schnellen" Truppenabzug aus Syrien angekündigt hatte.
Diese Verunsicherung dürfte anhalten. Denn nur einen Tag später, am Freitag, ließen die USA nicht minder überraschend verkünden, der Abzug der US-geführten Militärkoalition aus Syrien habe bereits begonnen, weitere Einzelheiten würden "aus Sicherheitsgründen" jedoch nicht bekannt gegeben. In der von Pompeo dargelegten Logik kann dieser Rückzug eigentlich nur bedeuten: Die USA lassen Syrien wissentlich noch tiefer ins Chaos stürzen.
Russland und Iran profitieren
Zwar ist noch unklar, wie weit der Truppenrückzug tatsächlich umgesetzt wird. Russland - die eigentliche starke Macht in Syrien - hat bereits Zweifel daran angemeldet. Angeblich wollen die USA auch weiterhin verbleibende Einheiten der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) aus der Luft bekämpfen. Dennoch besteht die Gefahr, dass die USA in Syrien jetzt nicht nur Russland weitgehend das Feld überlassen - sondern damit automatisch auch dem militärisch wichtigsten Verbündeten der Russen in Syrien, dem Iran. Dabei hatte Pompeo in seiner Rede gerade das iranische Regime mit scharfen Worten attackiert und angekündigt, die USA würden gemeinsam mit ihren regionalen Verbündetenden Teherans Einfluss so lange bekämpfen, "bis der letzte iranische Stiefel aus Syrien vertrieben" ist. Wie das bei einem Rückzug der USA und gegen den Willen Moskaus geschehen könnte, sagte er nicht.
Ebenso verschwieg Pompeo die zweite große Gefahr: Der US-Rückzug könnte dazu führen, dass die Türkei die bisherigen kurdischen Verbündeten der USA in Syrien militärisch attackiert. Ankara hat dies bereits mehrfach angedroht und bereitet sich laut Berichten aus der Region bereits demonstrativ auf eine Militäroffensive vor. Auch hier ist Pompeos Logik unfreiwillig auf bittere Weise zutreffend: Die USA ziehen sich zurück - und es droht Chaos.
Gefährliche Hauruck-Politik
Dieses Chaos droht jedoch nicht nur Syrien - es droht der gesamten Region. Vom Israel-Palästina-Konflikt bis zum Krieg im Jemen existieren gerade in dieser Weltgegend beängstigend viele Konflikte, die durch Trumps chaotische Hauruck-Politik sehr schnell außer Kontrolle geraten könnten. Erreicht hat er bisher so gut wie gar nichts: Die Israelis dürfen sich zwar über die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt freuen, doch die Palästinenser erhalten sogar weniger Unterstützung als vorher - und ein von Trump vollmundig angekündigter "Deal des Jahrhunderts" lässt weiter auf sich warten. Die mühsam ausgehandelte Waffenruhe im Jemen ist brüchig und hat das Leiden der Bevölkerung bisher kaum verbessert. Die Konflikte zwischen den US-Verbündeten Saudi-Arabien und Katar bleiben einstweilen ungelöst. Und die amerikanische Rhetorik gegenüber dem Iran ist unter Trump derart scharf geworden, dass manche Äußerung beinahe schon so klingt, als solle damit verbal ein militärischer Konflikt vorbereitet werden. Bei den Herschenden in Saudi-Arabien und Israel mag dieser Kurs auf Genugtuung stoßen. Doch er ist brandgefährlich. Der Iran ist allein schon militärisch nicht zu unterschätzen.
Ausdrücklich distanzierte Pompeo sich in seiner Rede von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama, der nicht nur gegenüber Iran einen deutlich weicheren Kurs eingeschlagen hatte. Obama hatte 2009 - ebenfalls in Kairo - auch einen "historischen Neuanfang" in den Beziehungen zur arabischen Welt verkündet und später im Zuge des sogenannten "Arabischen Frühlings" tatsächlich vor allem demokratische Kräfte in der Region unterstützt.
Die USA unter Trump tun genau das Gegenteil. Sie kooperieren trotz übelster Menschenrechtsverletzungen mit den Regimen in Riad und Kairo und beliefern diese mit Waffen. Pompeo scheut in diesem Zusammenhang nicht einmal vor der zynischen Behauptung zurück, die USA hätten endlich wieder ihre "traditionelle Rolle als Kraft des Guten" in der Region eingenommen, ganz so, als wären die amerikanischen Interventionen im Irak und in Libyen seinerzeit von den betroffenen Bevölkerungen als "Befreiungsschlag" begrüßt worden. In Wirklichkeit war überwiegend das Gegenteil der Fall. Auch die derzeitige Außenpolitik der USA in der Region produziert nichts als Chaos und stärkt im arabischen Raum vor allem Regime, deren Politik oftmals in einem krassen Widerspruch zu klassischen amerikanischen Werten steht. Eine kohärente politische Strategie ist hinter all dem jedoch nicht zu erkennen.
Und Deutschland?
Aus deutscher Sicht kann dies allerdings nicht kritisiert werden, ohne deutlich auf zwei Punkte hinzuweisen: Trotz aller Unterschiede in der amerikanischen und europäischen Nahost-Politik sind im vergangenen Jahr auch die deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien stark angestiegen. Und die ägyptische Marine durfte sich laut Medienberichten erst Anfang des Jahres über eine Genehmigung aus Berlin für den Export einer Fregatte nach Kairo freuen.