Noch im Januar hatte US-Präsident Donald Trump ausgeschlossen, dass Nordkorea jemals eine Interkontinentalrakete besitzen wird. Doch nur ein halbes Jahr später ist es schon passiert. Die jetzt abgefeuerte Rakete kann offenbar bis zu 8.000 Kilometer weit fliegen und einen Atomsprengkopf transportieren. Damit steigt Nordkorea in den exklusiven Klub jener Mächte auf, die die USA mit Atomraketen erreichen können.
Zwar ist diese neue Fernwaffe militärisch kaum ernst zu nehmen. Sie muss erst mühsam mit Flüssigtreibstoff betankt werden und fliegt so langsam, dass Abwehrraketen sie leicht vom Himmel holen können. Auch sind Zweifel an ihrer Verlässlichkeit und Treffsicherheit angebracht. Die notwendigen Verbesserungen brauchen sicher noch viel Zeit.
Kims Regime faktisch unangreifbar
Aber Führer Kim Jong Un geht es vor allem um die abschreckende Wirkung von weitreichenden Atomraketen. Sein Regime ist jetzt faktisch unangreifbar geworden, weil es die Fähigkeit zu atomaren Gegenschlägen mit unkalkulierbaren Folgen für die USA besitzt. Dadurch kann Kim seine politischen Ziele endlich auf Augenhöhe zu seinem Erzfeind verfolgen, nämlich einen Friedensvertrag zu schließen und die UN-Sanktionen zu beenden.
So paradox es klingt: Der Durchbruch in der Raketentechnologie bringt Bewegung in die festgefahrenen Fronten in Korea. Bisher bedrohte die Raketenrüstung des Nordens nur die Nachbarn Südkorea und Japan. Die USA hielten ihren Atomschirm über die Verbündeten, aber schauten den Spannungen in der Region letztlich nur unbeteiligt zu. Auf nordkoreanische Provokationen reagierte Washington reflexartig und stereotyp. Damit ist es nun vorbei, da die eigene Bedrohung real zu spüren ist.
Mehr Druck auf China
Im Moment sieht es noch so aus, als ob sich die Spirale nach altem Muster weiterdrehen wird. Die USA wollen erneut die Sanktionen verschärfen und auf dem G20-Gipfel in Hamburg China und andere Länder um mehr Unterstützung bei den Maßnahmen gegen Nordkorea bitten. Angesichts von Pekings Doppelspiel in der Region könnte Washington auch mehr direkten Druck auf China ausüben.
Doch wenn man die Tweets von Trump liest, dann fehlt ihm womöglich die Geduld, um die Wirkung dieser Isolationsstrategie abzuwarten. Weil seine Reformpläne in den USA nicht vorankommen, könnte Trump schnelle Erfolge in der Außenpolitik suchen. Eine Option wäre es, die Raketenfabriken in Nordkorea mit Luftschlägen zu zerstören. Doch damit riskierten die USA eine unkontrollierbare Eskalation, zum Beispiel einen Vergeltungsangriff auf die Millionenstadt Seoul. Japan und Südkorea sollten Trump gegenüber klarstellen, dass diese Strategie zu risikoreich ist.
Moratorium deutlich attraktiver
Im Vergleich zu Militärschlägen mit unabsehbaren Folgen ist der russisch-chinesische Vorschlag eines Moratoriums deutlich attraktiver. Eine Aussetzung von Atom- und Raketentests auf nordkoreanischer und von Militärmanövern auf US-südkoreanischer Seite würde die Spannungen erst einmal vermindern und Nordkoreas waffentechnisches Entwicklungstempo bremsen. Die Atempause sollten die Konfliktparteien nutzen, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Jedoch lässt sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Den Status einer Atommacht wird Nordkorea nicht mehr aufgeben. Das haben sich die USA durch ihr jahrelanges Abwarten selbst zuzuschreiben. Aber die Gespräche könnten sich auf ein Einfrieren der Atom- und Raketenrüstung von Nordkorea konzentrieren. Im Gegenzug würden die internationalen Sanktionen gelockert und Nordkorea etwa über die neue auf Chinas Initiative gegründete Asien-Infrastruktur-Investment-Bank (AIIB) Entwicklungskredite gewährt. Dieser Weg der konstruktiven Deeskalation ist einem zweiten Koreakrieg eindeutig vorzuziehen.
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