Fragwürdiger Verfassungsschutzbericht
18. Juni 2014Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist - mit den Worten des deutschen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) - ein "unverzichtbares Element unserer wehrhaften Demokratie". Das stimmt - vorausgesetzt, die 2776 Bediensteten der Behörde erfüllen das ambitionierte Anforderungsprofil: Schutz der Verfassung, des Staates sowie der Freiheit und Sicherheit der in Deutschland lebenden Menschen. Angesichts der vielfältigen Gefahren und Bedrohungen wäre es unrealistisch und anmaßend, eine hundertprozentige Erfolgsbilanz zu erwarten. Das tut auch niemand. Es sollte aber zumindest der Eindruck entstehen, dass die Behörde alles unternimmt, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Davon kann allerdings kaum die Rede sein.
Auf der Habenseite steht das, was in die Kategorie Anti-Terror-Kampf fällt. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen und seine Belegschaft dürfen stolz darauf verweisen, Deutschland sei auch Dank ihrer Arbeit von islamistischen Attentaten verschont geblieben. Dass die Bundesrepublik "weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen" ist, darf man dem Verfassungsschutz-Chef ruhig glauben. Problematisch ist und bleibt das Spiel mit abstrakten Terrorwarnungen allerdings trotzdem, weil damit seit den verheerenden Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA auch in Deutschland immer wieder Gesetze auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte verschärft wurden.
Edward Snowden ist eine Instanz jenseits der Verfassungsorgane
Davon profitieren alle Sicherheitsdienste, allen voran der für die Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) und sein Pendant im Inland: der Verfassungsschutz. In dessen aktuellen Bericht kann jeder nachlesen, wie intensiv die nationale und internationale Zusammenarbeit inzwischen ist. Nie war der Informationsaustausch so eng und einfach wie heute. Oft wurde dabei gegen geltendes Recht verstoßen. Beispielhaft dafür steht das vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Gesetz zur Anti-Terror-Datei.
Mit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden ist inzwischen eine Instanz jenseits von Justiz und Parlament in Erscheinung getreten, mit der sich der Verfassungsschutz auseinandersetzen muss. So massiv die durch zahlreiche Dokumente belegten Vorwürfe des früheren Geheimdienst-Mitarbeiters sind, so wortkarg fallen die Reaktionen des Verfassungsschutzes und des zuständigen Innenministers aus. Bei der Suche nach dem Stichwort "NSA" stößt der neugierige Leser im 384 Seiten dicken Jahresbericht auf zwei dürftige Hinweise.
Verniedlichung von Amts wegen
Die erste Erwähnung des unersättlichen US-Geheimdienstes findet sich im Kapitel "Linksextremismus". Konkret geht es um Anti-NSA-Demonstrationen und Veröffentlichungen. Die zweite und letzte Einlassung zur NSA steht im Abschnitt "Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten". Die Aktivitäten des US-Geheimdienstes hält Verfassungsschutz-Chef Maaßen trotz der massenhaften Veröffentlichungen aus dem Snowden-Fundus nach wie vor für "Mutmaßungen und Spekulationen", wie er bei der Präsentation seines Jahresberichts sagte.
Im Text selbst heißt es, die gegen die NSA und andere westliche Dienste erhobenen Vorwürfe "verdeutlichen das mögliche breite Spektrum neuer Formen der Spionage". Sätze wie dieser sind nichts anderes, als die von Amts wegen erfolgte Verniedlichung des größten Spionage-Skandals der Gegenwart. Der Verdacht, diese verharmlosende Form der Auseinandersetzung mit der NSA-Affäre sei politisch gewollt, liegt auf der Hand. Schließlich ist der Verfassungsschutz eine nachgeordnete Behörde des Innenministeriums.
Als Frühwarnsystem hat die Behörde versagt
Mit ein wenig Fantasie kann man zwischen den Zeilen sogar das schlechte Gewissen des Inlandsgeheimdienstes herauslesen: "Wir stärken die Spionageabwehr", heißt es unter Verweis auf den Koalitionsvertrag zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Und vom fraktionsübergreifenden NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages erhofft sich der Verfassungsschutz "weitere Impulse". Regierung und Parlament sollen also nachholen, was der Inlandsgeheimdienst versäumt hat. Dabei ist der Verfassungsschutz seinem Selbstverständnis nach das "Frühwarnsystem". Im Falle der NSA hat dieses System in der Vergangenheit versagt. Und es spricht im Moment wenig dafür, dass es künftig besser wird.