Keine großen Erwartungen
7. April 2014Wie steht Indien am Ende der Ära Manmohan Singh da? Bis in die höchsten Ebenen von Regierung und Kongresspartei reicht die schier unendliche Serie von Korruptionsskandalen. Das Wirtschaftswachstum liegt hinter demjenigen Chinas weit zurück. Während Chinas Parteiführung eindrucksvolle Schritte zur Verbesserung des Lebensstandards der Landbevölkerung unternommen hat, ist in Indien auf dem Gebiet wenig passiert.
Trotz des Wachstums der ersten Amtszeit von Singh leben 500 Millionen Inder weiterhin an der Armutsgrenze oder darunter. Von dem in den Boom-Jahren generierten Reichtum ist bei den Armen nichts angekommen. Angemessene Bildung für alle bleibt ein fernes Ziel. Indien ist für Frauen eines der gefährlichsten Länder, trotz schärferer Gesetze und beschleunigter Verfahren, die die Regierung Singh als Reaktion auf eine Reihe von besonders abscheulichen Vergewaltigungsfällen erlassen hat. Praktisch nichts hat sich an der patriarchalischen Grundeinstellung gegenüber der Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft geändert.
Rahul Gandhi steht für Stagnation
In den kommenden Wochen wird die Kongresspartei vermutlich Rahul Gandhi, bisher Nummer zwei der Partei, zu ihrem Präsidenten bestimmen. Ein riskanter Schritt, denn der unerfahrene Spross einer Politikerdynastie, zu der Namen wie Jawaharlal Nehru und Indira Gandhi zählen, hat wenig Erfahrung und wenig sichtbare Ambitionen zur Führung des Landes. Bisher hat er weder erkennen lassen, dass er Pläne für eine Modernisierung der Kongresspartei hätte noch eine Vision für die Zukunft Indiens, seiner Mittelschicht und seiner Armen. Die Frage ist: Sollen die Parteien Indiens weiterhin Spielball der reichen und mächtigen Eliten bleiben oder den Willen und die Interessen der Wähler zur Geltung bringen?
Die wachsende Anti-Korruptionsbewegung des Landes hat der populistischen Protestpartei Aam Aadmi ("Partei des Normalbürgers") viele Sympathien verschafft. Sie könnte genügend Stimmen gewinnen, um sowohl der Kongresspartei als auch der oppositionellen nationalistischen Hindi-Partei BJP eine absolute Mehrheit zu versperren. Dann wäre ein gewiefter Politiker gefragt, der in der Lage ist, unter Einbeziehung diverser Regionalparteien eine tragfähige Koalitionsregierung zu zimmern.
Schatten der Vergangenheit
Narendra Modi, Regierungschef des Bundestaates Gujarat und Führer der BJP, könnte diese Rolle ausfüllen. Der Vollblutpolitiker hat die Bürokratie verschlankt und den westlichsten Bundesstaat Indiens zu einem Magnet für Investitionen gemacht. Allerdings hat der 62jährige Hindu-Nationalist die Schatten der Vergangenheit nicht abschütteln können, die ihn seit 2002 verfolgen.
Damals wurden in Gujarat bei tagelangen gewaltsamen Ausschreitungen über 900 Muslime getötet, Modi wurde vorgeworfen, den Gewaltexzessen freien Lauf gelassen zu haben. Juristisch ist er unbescholten, aber die USA und mehrere EU-Staaten verweigerten ihm die Einreise. Inzwischen wurden diese Restriktionen von EU-Seite aufgehoben, die USA werden wohl bald folgen.
Laut Umfragen trauen viele Inder Modi zu, wirtschaftliche Reformen anzupacken und die Bedingungen für mehr Wohlstand für alle zu schaffen. Aber viele, darunter die Muslime des Landes, sind misstrauisch. Millionen Inder packt das Grausen bei der Vorstellung, dass eine solch polarisierende Persönlichkeit die Nation führen könnte.
Einfluss der Erstwähler
Diese Vorbehalte lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass Modis BJP einen klaren Sieg einfährt. Laut letzten Umfragen vor der Wahl werden der BJP rund 40 Parlamentssitze für eine absolute Mehrheit fehlen. Und das trotz des massiven Einsatzes des Internets und sozialer Medien, mit denen Modis Wahlkampfstrategen die Zielgruppe der 100 Millionen Erstwähler ins Visier genommen haben.
Diese jungen Inder gehören weder zur traditionellen Klientel der Kongresspartei noch der BJP und werden nach Meinung von Beobachtern den Ausschlag für das Wahlergebnis geben. Daraus folgt aber nicht unbedingt ein wirklicher Neuanfang: Das Wahlergebnis wird wahrscheinlich eine instabile Koalitionsregierung sein, unfähig für die Reformen, die Indien am nötigsten braucht.