Profisportler müssen so einiges abkönnen. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit ihrer Leistung und alles was dafür nötig ist, wird eben getan. Sie trainieren bei Hitze, Kälte, im Regen, Schnee oder Hagel. Sie ordnen alles ihrem Ziel unter, nehmen Entbehrungen in Kauf. Wir sprechen also von einer kleinen Elite, die es gewohnt ist, Schmerzen auszuhalten und nicht zu jammern. Wenn sich Stimmen aus diesem Kreis erheben, heißt das also etwas. Ein "Desaster" sei diese WM, sagt der französische Zehnkämpfer Kevin Mayer, "respektlos" findet die weißrussische Läuferin Volha Mazuronak das Verhalten des Weltverbandes IAAF, "abartig" nennt der zurückgetretene deutsche Diskuswerfer Robert Harting die Bedingungen in Katar. Und die italienische Marathon-Läuferin Sara Dossena findet nach ihrem Hitzekollaps im Rennen nur ein Wort, um das zu beschreiben, was sie erlebt hat: "schrecklich". Die Leichtathletik-WM nach Katar zu vergeben, war ein Fehler. Ein Scheitern mit Ansage.
Vor der Hitze und ihren Auswirkungen auf die Athleten hatten viele Experten gewarnt, interessiert hat das kaum jemanden bei der IAAF. Während beim Marathon Sportlerinnen kollabierten und mit Rollstühlen weggefahren wurden, versuchten die Veranstalter Kameraleute zu hindern, dies zu filmen. Diese Bilder sollte die Welt besser nicht sehen. Stattdessen versprach Leichtathletik-Präsident Sebastian Coe, mehr Wasser zur Verfügung zu stellen. Welch ein Hohn. Und ein ökologischer Wahnsinn: In das Khalifa-Stadion wird mit aufwendiger Technik kalte Luft geblasen - und durch ein riesiges Loch im Dach kommt ständig neue heiße Außenluft hinzu. Der CO2-Fußabdruck der Wettbewerbe von Doha dürfte beispiellos in der Geschichte der Leichtathletik-Weltmeisterschaften sein.
Es ist WM und kaum einer geht hin
Und das Schlimme: Das Spektakel interessiert kaum jemanden. Die Hälfte der Tribünen ist mit bunten Bannern überdeckt. Die Hälfte der sichtbaren Sitze ist leer. Mindestens. Manche Wettkämpfe finden vor einer Geisterkulisse statt. Dabei hat Katar nach Medienberichten sogar Bauarbeiter bezahlt, damit sie ins Stadion gehen. "Das soll hier wirklich eine WM sein?", fragt die britische Siebenkampf-Olympiasiegerin Denise Lewis zu Recht. Dass der stellvertretende WM-Chef Dahlan Al Hamad vor Beginn der Wettkämpfe noch versprach, "dass es immer voll werden wird", zeigt, wie dreist Katar versucht, sich ins rechte Licht der Weltöffentlichkeit zu rücken.
Das politisch isolierte Land versucht seit Jahren, über den Sport Marketing zu betreiben. Arenen wurden gebaut, Ausbildungszentren eröffnet, Wettbewerbe an Land gezogen, Sportler eingebürgert. Alles mit dem Ziel, Katar für ein globales Publikum bekannter zu machen. Natürlich sollten Sport-Wettkämpfe auch in die arabische Welt vergeben werden, es ist ein legitimes Ziel, die Sportwelt ins eigene Land zu holen. Wenn dabei aber nur ein einziges Argument zählt (Geld), hat der Sport ein Problem.
Der Sport verkauft seine Seele an den Meistbietenden
Wenn Sportler Hitzepillen schlucken müssen und kollabieren, wenn Stadien leer bleiben, wenn Menschenrechte beim Bau der Arenen mit Füßen getreten werden, dann macht sich der Sport schuldig. Genauer gesagt: die Funktionäre, die die WM an Katar vergaben, obwohl die Bewerbungen von Eugene (USA) und Barcelona (Spanien) besser waren. Aber Katar bot offenbar mehr Geld. Dass der damals verantwortliche IAAF-Präsident Lamine Diack inzwischen in Frankreich unter Hausarrest steht, macht die Sache nicht besser. Denn es ist nur eines von vielen Beispielen, wie der Sport seine Seele verkauft. Ein weiteres Beispiel wird die nächste Fußball-WM. 2022 ist Katar Gastgeber und das, was wir derzeit in Doha erleben, ist ein bitterer Vorgeschmack auf das, was da in drei Jahren kommen wird. Und für eine Olympiabewerbung bringt sich das Emirat auch bereits in Stellung.
Das Dilemma: Längst funktionieren internationale Sportverbände nach marktwirtschaftlichen Regeln. Die Großereignisse sollen vor allem Wachstum und Einnahmen bringen. Alles andere ist sekundär. Speerwerfer Johannes Vetter hat einen Lösungsvorschlag: Er regt an, Events wie die Leichtathletik-WM "nicht nur zugunsten des Geldes" zu vergeben, sondern auch nach der Meinung der Athleten. Der richtige Gedanke. Mehr Mitsprache, mehr Transparenz im Vergabeverfahren von Mega-Events, und der Sport hätte viele Sorgen weniger.