Jede Großmacht pflegt ihre Rituale und übt sich in Inszenierungen. Die russische Variante von "Mission erfüllt" kam unspektakulär daher. Russlands Präsident bestellte den Verteidigungs- und den Außenminister in sein dunkel getäfeltes Kabinett und verkündete dort in einem Ambiente größtmöglicher Beiläufigkeit das Ende der Luftangriffe in Syrien; denn die militärischen Ziele dort seien größtenteils erreicht. Die karge Ansage aus Moskau wird weltweit wie eine mittelgroße Sensation aufgenommen.
Russland war in den syrischen Bürgerkrieg gezogen, um dort gegen islamistische Terroristen zu kämpfen. Doch das war nur ein Teil der Wahrheit - verfolgte Russland doch eine üppige verdeckte Agenda. Von Anfang an bekämpften Russlands Jagdbomber auch jene Milizen, die vom Westen in ihrem Aufstand gegen Assad alimentiert werden. Da dieser syrische Krieg auch ein Stellvertreterkrieg ist, bekämpfte Russland in Syrien somit die USA und ihre Verbündeten.
Alles was wichtig ist, bleibt vor Ort
Die Steinzeit-Islamisten des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) sind indes immer noch nicht besiegt. Hier muss und will Russland aber wohl nachlegen. Nachdem sich die USA und Russland wochenlang gegenseitig Vorhaltungen gemacht hatten, absichtlich nicht genug oder gar das Falsche zu tun im Kampf gegen den IS, scheinen die beiden nun erstmals ein gemeinsames Vorgehen zu planen. Russland jedenfalls wird auch nach seinem Teilabzug genug Militärgerät in Syrien lassen, um bei einer solchen Kampagne dabei zu sein.
Schade, dass es für das Wort "Abzug" keinen Diminutiv gibt - denn bei genauem Hinsehen ist es genau das: Die ultra-light-Version eines militärischen Abrückens, ein "Abzügle". Lediglich Jagdbomber, Piloten und Bodenpersonal werden zurück verlegt nach Russland. Syrien war für die russische Rüstungsindustrie wie ein gigantischer Showroom, brandneues fliegendes Gerät kam erstmals zum Einsatz. Doch der war teuer. Russland aber muss haushalten, das Land ist gebeutelt von einer tiefen Wirtschaftskrise und von den Sanktionen des Westens wegen seiner aggressiven Ukraine-Politik.
Der Verteidigungsetat könnte nächstes Jahr um fünf Prozent gekürzt werden; Russlands oberster Rüstungsmanager rechnet gar mit zehn Prozent weniger Aufträgen aus dem Moskauer Verteidigungsministerium. Auch diese Wirklichkeit gehört zum Blick auf Putins überraschende Entscheidung, die Luftangriffe abzubrechen. Russland spart dadurch viel Geld und vergibt sich strategisch nichts. Denn Russland hat sich in Syrien militärisch dauerhaft festgesetzt. Jederzeit kann der Kreml wieder eskalieren. Der russische Marinehafen in Syrien, die mit viel Aufwand ausgebaute Luftwaffenbasis und der entsprechende Schutz dieser Einrichtungen - all das bleibt vor Ort.
Russland hat Assad offenbar aufgegeben
Die Assad-Regierung hat nur überlebt, weil Russlands Militär den bedrängten syrischen Streitkräften vor sechs Monaten zur Hilfe kam. Nun ist das Regime in Damaskus auch politisch völlig in Russlands Hand. Gerüchte wollen außerdem von einem Zerwürfnis zwischen Moskau und Damaskus wissen. Dazu passt, dass ein Kreml-Sprecher mitteilen ließ, die politische Zukunft von Präsident Assad sei nicht Thema bei den Beratungen über den Truppenabzug gewesen. Im Klartext: Der Kreml interessiert sich nicht mehr für Assad - nachdem es monatelang den Schutzpatron des angeblich ach so legitimen Gewaltherrschers gespielt hat.
Mit diesen machtpolitischen Manövern gewinnt Russland bei den Friedensverhandlungen in Genf eine Verhandlungsposition, die herausragt. Politisch war genau das geplant: Durch die Intervention in Syrien wieder zum globalen (Mit-)Spieler auf Augenhöhe zu werden. Derzeit redet kaum noch jemand über die Lage in der Ost-Ukraine, über Russlands schwierige Rolle, den sogenannten "Minsk-Prozess". Die Annexion der Krim vor zwei Jahren? Wird wohl zum Thema für Völkerrechtsexperten. Kollateralschäden des russischen Syrien-Einsatzes, die Putin sehr zupass kommen.
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