Kongo: Ein zweites Somalia?
4. März 2005Droht dem Kongo eine Katastrophe wie Somalia im Jahr 1993? Damals hatten Milizen durch gezielte Angriffe auf UN-Soldaten für einen Abzug aller ausländischen Eingreiftruppen gesorgt und damit den Zerfall eines Staates herbeigeführt, der nach wie vor anhält. Und nun kommt der Kongo nicht aus den Schlagzeilen heraus.
Am Dienstag (1.3.2005) haben UN-Soldaten der im Kongo stationierten MONUC-Mission rund 60 Rebellen getötet. Das Gefecht fand in der Krisenregion Ituri, im Nordosten des Landes, statt. Die UN-Blauhelme hätten sich verteidigt, betont Eliane Naba, Pressesprecherin der MONUC in Kinshasa. Es sei in erster Linie darum gegangen, Zivilisten, vor allem Flüchtlinge vor weiterer Willkür der Milizen zu schützen: "Die Flüchtlinge sind der Miliz sozusagen ausgeliefert. Sie übt willkürlich Gewalt aus, erhebt erpresserische Steuern und so weiter."
Unter Beschuss - auch politisch
Erst in der vergangenen Woche waren in derselben Region neun Blauhelmsoldaten in einem Hinterhalt getötet worden. Ein schwerer Schlag gegen die 14.500 Blauhelme der Vereinten Nationen, die auch politisch unter schwerem Beschuss stehen. Denn die Kritik an der seit 1991 im Kongo stationierten, der teuersten und auch einer der größten der weltweit 17 UN-Friedenseinsätze häuft sich. Erfolge lassen auf sich warten. So gab es Hinweise darauf, dass Soldaten der MONUC Frauen aus dem Kongo vergewaltigten. Und über viel zu lange Zeit hatten die UN-Soldaten den Übergriffen der Rebellen im Ostkongo tatenlos zugesehen.
Für die 14.500 Mann starke MONUC-Mission mag der entschiedene Schlag gegen die Rebellen, die versuchen, die gesamte Region zu destabilisieren, zugleich auch ein klares Signal auf politischer Ebene sein, um einem vorzeitigen Ende ihrer Mission vorzubeugen. Schließlich wird der UN-Sicherheitsrat Ende März erneut über eine Verlängerung der MONUC abstimmen müssen. Ein klares Signal soll aber auch den Rebellen gesetzt werden, die seit Jahresbeginn Menschen aus der Region vertreiben, betont die Sprecherin der MONUC, Eliane Naba: "Wir hoffen auch, dass das zur Verbesserung der Lage beiträgt, dass diese Milzen verstehen, dass sie keine andere Wahl haben, als ihre Waffen abzugeben. Sie können nicht weiter Zivilisten auf diese Weise bedrohen und damit bewusst massenhafte Vertreibungen provozieren."
Tiefe Krise der UN-Mission
Vor dem Hintergrund der schweren Vorwürfe und Kritik steckt die UN-Mission im Kongo in ihrer bisher wohl tiefsten Krise. Ein kompletter Rücktritt ihrer Führung scheint nicht mehr ausgeschlossen. Der Oberkommandierende der Blauhelmtrupppen, Samailia Iliya, hatte bereits in den letzten Wochen seinen Hut genommen. Möglicherweise werden ihm weitere folgen. Kritik mehrt sich auch auf internationaler Ebene - beispielsweise von Seiten der USA, die bereits im vergangenen Jahr gegen eine Aufstockung des UN-Kontingents gestimmt hatten.
Die Unfähigkeit der Blauhelm-Mission, für Frieden zu sorgen, führt unterdessen zu einer Flüchtlingskatastrophe, die auch die Nachbarstaaten betrifft. Allein in Uganda, an den Ufern des Albertsees, haben seit Jahresanfang mehr als 17.000 Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Viele der Flüchtlinge sind aus dem nordost-kongolesischen Bezirk Ituri geflohen - vor den Milizen der FNI (Front Nationaliste et Intégrationniste). Ihre Mitglieder gehören zur Volksgruppe der Lendu. Die Region Ituri liegt an der Grenze zu Uganda. Die Region verfügt über Goldvorkommen und vermutlich auch über Erdöl. Der Hema-Lendu-Konflikt hat allerdings deutlich ältere Wurzeln und hat allein seit 1999 über 50.000 Tote und mehr als eine halbe Million Vertriebene verursacht. Lange sah die UNO zu. Erst nach einem Massaker an rund 1000 Männern, Frauen und Kindern der Hema im April 2003 griff die Internationale Gemeinschaft ein und entsandte zunächst eine EU-Eingreiftruppe unter französischem Kommando. Im September 2003 wurde diese von der mit einem robusten Mandat versehenen UN-Mission MONUC abgelöst.
Folter, Gewalt, Hunger
Seit Anfang des Jahres aber flammt der Konflikt nun mit erneuter Härte auf. Über 70.000 Hema haben sich seitdem in Lager gerettet, die von den UN-Truppen bewacht werden. Die Flüchtlingszahlen sind in den vergangenen Wochen dramatisch angewachsen. Die ganze Gegend sei im Chaos, bilanzieren Hilfsorganisationen die Situation. "Mediziner ohne Grenzen" musste aus Sicherheitsgründen in diesen Tagen das Nothilfeprogramm für die Region Ituri einstellen. Es sollte den tausenden von Menschen helfen, die vor den Kämpfen zwischen verschiedenen Rebellengruppen in der Region im Nordosten des Landes geflohen sind. Etwa 7000 Vertriebene haben sich allein in der Ortschaft Ché niedergelassen und benötigen dringend medizinische Hilfe, sauberes Trinkwasser und Nahrungsmittel. Der Zustand der Menschen sei sehr schlecht, betont Aymeric Peguillan von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen": Sie beobachtet einen Anstieg der Opfer von direkter Gewaltanwendung, gerade bei den Frauen. Viele der Frauen seien vergewaltigt worden. Es sei zu Folter gekommen. "Es gibt auch Probleme mit der Unterernährung, vor allem bei Kindern", sagt Peguillan. "Insgesamt ist das eine wirklich alarmierende Situation und eine völlige Schutzlosigkeit der Betroffenen."
Da sie selbst ihre Arbeit einstellen mussten, befürchtet "Ärzte ohne Grenzen" nun Schlimmstes für die Flüchtlinge. "Wir haben die große Sorge, dass sich viele Menschen in den Wäldern aufhalten, oder in den Bergen, wo die Temperaturen nachts weit herunter gehen", sagt Peguillan. "Menschen, die völlig auf sich selbst gestellt sind, die über keine Nahrung verfügen und auch nicht über medizinische Versorgung - die also völlig schutzlos sind."