Streit ums Kreuz
1. Juni 2018Andreas Püttmann jedenfalls ist rundum zufrieden mit dem Kreuz-Erlass – ohne Wenn und Aber. Der bekennende Christ handelt mit kirchlichen Devotionalien. Für das Kirchenbedarf-Fachgeschäft Schreibmayr in München laufen die Geschäfte derzeit gut. "Am besten laufen die schlichten Holzkreuze ohne den Gekreuzigten", sagt Geschäftsführer Püttmann.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der konservativen bayerischen CSU (das "C" steht für christlich) hatte Ende April für Furore gesorgt. Sein Kabinett hatte einmütig beschlossen, dass im Eingangsbereich jeder Landesbehörde nun ein Kreuz hängen soll.
Das Kreuz in der Staatskanzlei als Symbol
Söder selbst war mit gutem Beispiel vorangegangen und hatte demonstrativ in der Eingangshalle der Staatskanzlei in München ein Kreuz an die Wand gehängt und damit eine heftige Kontroverse in ganz Deutschland ausgelöst. Söder betonte, das Kreuz stehe nicht für eine Religion, sondern sei Teil der "geschichtlich-kulturellen Identität und Prägung Bayerns".
Jeder zweite Bayer bekennt sich zum katholischen Glauben, weitere rund 20 Prozent zum Protestantismus. Überall in Bayern sieht man am Straßenrand und in den malerischen Dörfern Kruzifixe.
In Bayern wird Mitte Oktober eine neue Landesregierung gewählt. Die Partei von Markus Söder, die Christlich-Soziale Union, ist traditionell die bestimmende Kraft, hat oft in der Nachkriegsgeschichte Ergebnisse von über 50 Prozent eingefahren. Derzeit liegt sie in den Umfragen "nur" bei etwas über 40 Prozent. Viele Kritiker unterstellen Markus Söder deshalb, sein Kreuzerlass sei nichts weiter als Wahlkampf. "Religion ist Privatsache. Herr Söder tritt hier abwechselnd als Manager, als Kümmerer und neuerdings auch als Missionar auf", kritisiert Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der bayerischen Grünen.
Ein anderer Vorwurf lautet, Söder verletze das Neutralitätsgebot des Staates. In Deutschland gilt seit rund einhundert Jahren die Trennung von Staat und Kirche.
Der Erlass spaltet Politik und Kirche
In den Kirchen war die Reaktion auf das Söder-Dekret von Anfang an geteilt. Der mächtige katholische Kardinal und Erzbischof von München und Freising, Kardinal Marx, hatte sich von Anfang kritisch zu dem Erlass geäußert. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, wer das Kreuz nur als kulturelles Symbol sehe, habe es nicht verstanden. Es stehe dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeute.
Der katholische Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, begrüßt hingegen im Gespräch mit der Deutschen Welle das Söder-Dekret: "An einem Bekenntnis zum Kreuz als dem Inbegriff des christlichen Glaubens, der die Fundamente unseres Zusammenlebens zutiefst prägt, kann ich nichts Verwerfliches finden – auch unter parteipolitischen Gesichtspunkten nicht."
Widerstand von Muslimen und Studenten
"Ich fühle mich als Muslim ausgegrenzt", hält Benjamin Idriz dagegen. Er ist Imam und Vorsitzender des "Münchener Forums für Islam". In der Fastenzeit hält er mehrmals täglich Gottesdienste in seiner modernen Moschee ab. Der Erlass sei auch politisch motiviert, glaubt Idriz. "Es ist nämlich auch eine populistische Antwort auf die populistische AfD, die Muslime ausgrenzen will."
Auch Tarek Carls glaubt, dass der bayerische Ministerpräsident für die CSU am rechten Rand fischen will und dafür ein religiöses Symbol missbrauche. Carls ist Psychologie-Student an der Universität Regensburg. Der 23-Jährige hat eine Internetpetition gestartet und sammelt unter dem Slogan "Kein #Kreuzzwang in öffentlichen Institutionen!" Unterschriften gegen den Erlass. Über 52.000 hat er schon zusammen. Er will weiterkämpfen, will verhindern, dass im Eingangsbereich seiner Universität demnächst ein Kreuz hängt. "Das Erstarken der AfD setzt die CSU offenbar unter Zugzwang. Das Kreuz wird als billiges Wahlkampfsymbol missbraucht", sagt er.
Aber ganz so ernst meint es die Landesregierung mit der Kreuz-Pflicht wohl doch nicht. Auf Anfrage der Deutschen Welle erklärte das zuständige Innenministerium, dass zwar über tausend Einrichtung nun eigentlich gehalten seien, das Kreuz bis zum Stichtag aufzuhängen. Sanktionen bei Nichtbeachtung werde es aber nicht geben. Die Behördenleiter könnten das selbst entscheiden, antwortet ein Sprecher.
Im gut sortierten Devotionalienhandel von Andreas Püttmann ist eine dreiköpfige Delegation des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege auf der Suche nach den passenden Kreuzen für ihre insgesamt sechs Dienststellen. Anders als andere bayerische Amtsvorsteher, die sich öffentlich dazu bekannt haben, der Anordnung nicht nachkommen zu wollen, ist Oberregierungsrat Michael Kling fest entschlossen. "Wir werden den Erlass so umsetzen, wie wir den Wortlaut diese Woche bekommen haben, sprich: Wir werden im Eingangsbereich jeder unserer Dienststellen ein Kreuz aufhängen. Gut sichtbar, wie es heißt." Die Delegation verlässt den Laden von Herrn Püttmann mit zwei schlichten Modellen, die zunächst probegehängt werden sollen.
Versöhnung und Papstvisite
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder setzt – nach den heftigen Debatten, die sein Erlass ausgelöst hatte – auf Friedensangebote. Er plant nun einen runden Tisch zum Thema "Werte, Kultur und Identität des Landes". Einladen will er Vertreter der beiden großen Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften sowie Vertreter aus Wissenschaft und Kultur. An diesem 1. Juni, dem Tag des Inkrafttretens des Kreuz-Erlasses, ist der christsoziale Ministerpräsident Markus Söder übrigens nicht in Bayern. Der Protestant hat eine Privataudienz beim Papst in Rom.