Der Welthandel gerät wieder ins Stottern
26. Februar 2024Das war knapp: Am Morgen des 21. Februar rammte ein Frachtschiff in China eine Brücke und brachte sie teilweise zum Einsturz. Für den Seehandel kann ein solcher Unfall teure Folgen haben. In der 16-Millionen-Einwohner-Stadt Guangzhou liegt einer der größten Häfen des Landes, über ihn läuft ein bedeutender Teil des Ost-West-Handels. Eine zunächst nicht ausgeschlossene Sperrung der Durchfahrt gab es glücklicherweise nicht.
Denn es gibt bereits genug Einschränkungen und Behinderungen auf den internationalen Seewegen, die den Welthandel beeinträchtigen. Die Schifffahrt, die mehr als 80 Prozent des globalen Güteraufkommens transportiert, leidet nicht nur unter Piraterie in Asien und in afrikanischen Gewässern, sondern auch unter den Auswirkungen kriegerischer Auseinandersetzungen und unter niedrigen Wasserständen.
Globale Nadelöhre
Zwei der drei global wichtigsten künstlichen Wasserstraßen sind derzeit nicht uneingeschränkt befahrbar: Der Suezkanal im Nahen Osten aus Sicherheitsgründen und der Panamakanal in Zentralamerika wegen eines dauerhaft niedrigen Wasserstandes. Sie sind eine jeweils bedeutende Abkürzung der internationalen Wasserverkehrswege, sie verkürzen die Wege um Afrika und um Südamerika herum und machen die Passage um die gefährlichen Südspitzen der Kontinente, Kap Horn und das Kap der Guten Hoffnung, überflüssig.
Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) berichtete am vergangenen Donnerstag (21.2.2024) in Genf über diese aktuellen Einschränkungen im Seeverkehr. Frachtunternehmer müssten teils lange Umwege in Kauf nehmen, um Angriffen auszuweichen oder um genug Wasser unterm Kiel zu haben. Das triebe die Frachtkosten in die Höhe und auch die Umweltbelastungen durch die Schiffsabgase nähmen signifikant zu.
Durch die geänderten Routen und die verlängerten Fahrtzeiten kommen viele Distributionspläne durcheinander: Containerladungen kommen später an als vorhergesagt und bringen Hafenbetreiber in Bedrängnis. Denn die müssen ihre Kapazitäten Monate im Voraus einteilen und planen. Das Ergebnis sind verlängerte Wartezeiten für die Schiffe vor den Häfen und verzögerte Auslieferungstermine auf der Kundenseite.
Reeder müssen kämpfen
Jeremy Nixon, Chef der singapurisch-japanischen Containerreederei ONE (Ocean Network Express), berichtet von mehreren Unternehmen, die ihre Zeitpläne nicht einhalten können. Das habe spätestens im Dezember letzten Jahres begonnen, als die militant-islamistischen Huthi aus dem Jemen Schiffe auf dem Seeweg durch den Suezkanal angegriffen. Seither, sagte Nixon der Financial Times in der vergangenen Woche, kämen regelmäßig Schiffe an Tagen in Häfen an, an denen sie nicht eingeplant waren. "Jeder", so Nixon, "kämpft um die Einhaltung seiner Terminplanung und in einigen Häfen gibt es bereits Überbelegungen." Dabei verweist er auf Shanghai und Dubai sowie verschiedene Häfen rund um die Straße von Gibraltar.
Die Umleitungen um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas verlängerten die Routen teilweise um zehn bis 14 Tage auf jeder Passage zwischen Asien und Nordeuropa. Das verschärfe auch die Versorgungslage in anderen Teilen der Welt.
Nicht genug Schiffsraum
Jeremy Nixon rechnete vor, welche Belastung seiner Reederei durch den von der Huthi-Miliz erzwungenen Umweg entstünden. Normalerweise, sagte er der der Financial Times, benötige ONE 12 Schiffe, um einen ununterbrochenen Service auf der Route zwischen Asien und Nordeuropa anbieten zu können. Derzeit erfordere aber der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung mehr Zeit, für den so entstandenen 102-Tage-Rythmus für Hin- und Rückweg müsse man aber 16 Schiffe einsetzen.
Die aber habe seine Reederei nicht. So führen die ONE-Schiffe zehn bis 15 Prozent schneller als gewöhnlich, um den Zeitverlust in Grenzen zu halten. Doch das reiche nicht: "Global steht einfach nicht genug Schiffskapazität zur Verfügung, um die verlängerten Passagen ausgleichen zu können."
Gegenwärtig wachsen die Flotten weltweit - für 2024 wird mit einem Kapazitätszuwachs von acht Prozent gerechnet, erwartet worden waren gerade einmal drei Prozent. Aber einerseits stehen die Neubauten noch nicht zur Verfügung und andererseits ist das mittelfristig auch ein zweischneidiges Schwert aus Sicht der Spediteure: Denn ein wachsendes Angebot an Schiffskapazität bedeutet auch ein Sinken der Frachtraten und damit geringere Gewinne.
Die Preise steigen
Die Beobachter der Unctad schauen aber auf die Preise, die gerade am Markt gefordert und bezahlt werden. Sie haben festgestellt, dass die Container-Spotpreise von Shanghai nach Europa von Dezember bis Februar durchschnittlich um 256 Prozent gestiegen sind. Der Grund dafür liege hauptsächlich im Nahost-Konflikt. Durch den Suezkanal führen derzeit deutlich weniger Frachtschiffe - und zwar 42 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Die Unctad sieht "weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen im Containerverkehr" vorher, die zu Lieferverzögerungen, höheren Kosten und einer steigenden Inflation führen: "Die vollen Auswirkungen der höheren Frachtraten werden die Verbraucher innerhalb eines Jahres zu spüren bekommen."
Längere Transportwege bedeuten laut Unctad nicht nur steigende Kosten. Es stiegen auch die Umweltbelastungen durch längeren Routen und höheren Treibstoffverbrauch, weil die Schiffe schneller fahren. Auf der Strecke Singapur-Rotterdam könnten die Treibhausgasemissionen auf einer Hin- und Rückfahrt um 70 Prozent in die Höhe schießen. Das habe "sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Kosten, die einen zusätzlichen Druck auf die Entwicklungsländer ausüben", so die Unctad.