Kuba geht härter gegen Andersdenkende vor
16. November 2021Eigentlich hätte Kuba an diesem Montag viele Gründe zum Feiern: Nach monatelanger Schließung aufgrund der Coronavirus-Pandemie kehren die Grundschüler in ihre Schule zurück. Gleichzeitig treffen die ersten Touristen nach Öffnung der Grenzen wieder ein und Havanna feiert sein 502-jähriges Bestehen mit bunten Straßenfesten.
Doch ein Aufruf zu landesweiten Protesten gegen die Regierung hat die Machthaber in Havanna in Alarmstimmung versetzt. Vor vier Monaten hatten bei den spontanen und seit Jahrzehnten größten Protesten vom 11. Juli die Menschen ihren Unmut über die schlimmste Wirtschaftskrise seit 30 Jahren und die damit einhergehende Strom- und Lebensmittelknappheit zum Ausdruck gebracht. Es gab einen Toten, Dutzende von Verletzten und 1270 Inhaftierte. 658 von ihnen sind noch immer in Haft, wie die Menschenrechtsorganisation Cubalex berichtet.
Presse- und Informationsfreiheit massiv eingeschränkt
Trotz Demonstrationsverbots rief die Internetplattform "Archipiélago", von Dramaturg Yunior García Aguilera nach den Demonstrationen im Sommer gegründet, für den 15. November erneut zu landesweiten Protesten auf. Je näher der Tag rückte, desto stärker wurden die Repressionen seitens der Regierung. Und das, wie es scheint, mit Erfolg: Mit einer massiven Polizeipräsenz und gezielten Verhaftungen gelang es offenbar, den geplanten Massenprotest zu vereiteln.
Der internationalen Menschenrechtsorganisation für Pressefreiheit "Article 19" zufolge hinderten Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen mehrere Medienschaffende und Oppositionelle daran, ihre Wohnungen zu verlassen. Am Samstag wurde allen Mitarbeitern der spanischen Nachrichtenagentur EFE die Akkreditierung entzogen. Die Nachrichtenagentur hatte wenige Tage zuvor ein Interview mit dem Organisator Yunior García Aguilera veröffentlicht.
Die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" befürchtet auf Kuba weitere Repressalien gegen nationale und internationale Journalisten. Bereits im Juli seien 15 Journalisten während der Proteste oder kurz danach von staatlichen Sicherheitskräften bedroht, angegriffen, festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden, erklärte die Organisation in Berlin.
Staatliche Botschaft
Die kubanischen Behörden untersagten den angekündigten Protestmarsch mit der Begründung, er sei ein Angriff auf das sozialistische System, das in der Verfassung "unwiderruflich" verankert sei. Sie drohten sogar damit, Facebook zu verklagen, weil es "private Gruppen" beherbergt, die "illegale Aktionen durchführen".
Zudem wurde das auf der Insel akkreditierte diplomatische Korps einbestellt, um die in den staatlichen Medien verbreitete Botschaft deutlich zu machen: "Es gibt keine eigenständige Opposition gegen unsere Regierung", der Protestaufruf zum 15. November sei "eine Operation, die von Machtzentren in den Vereinigten Staaten aus organisiert wird" und die "mit dem Einsatz interner Agenten, die von der US-Botschaft in Havanna rekrutiert, ausgebildet, finanziert und dirigiert werden". "Niemand wird uns also das Fest verderben", warnten und wiederholten der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel und sein Außenminister.
Nach ihrer Reaktion auf die Anschuldigungen der Regierung befragt, äußert sich Saily González, Aktivistin der Plattform Archipiélago, im Gespräch mit der DW lakonisch: "Meine Antwort ist, den (leeren) Kühlschrank in meinem Haus zu öffnen". Auch Daniela Rojo, eine 26-jährige Dichterin und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die das virtuelle Forum von Guanabacoa aus, einem Vorort von Havanna, moderiert, antwortet lachend: "Ich habe nicht einmal Zigaretten".
Kein Raum für Dialog und freie Meinung
Mit dem Gründer und dem bekanntesten Gesicht der Protestplattform, Yunior García Aguilera konnte die DW nicht sprechen. Sein Telefon und Internetanschluss ist abgeschaltet und sein Haus wird von der Staatssicherheit überwacht, bestätigt Rojo
"Die kubanische Regierung beschuldigt jeden, der anders denkt, im Dienste einer ausländischen Regierung zu stehen. Sie will nicht anerkennen, dass es in Kuba eine Opposition gibt, weil sie sich nicht mit Kubanern zusammensetzen und reden will. Aber mit ihrem Erz-Feind, der US-Regierung, konnte sie es. Die Regierung sagt, dass die Probleme intern gelöst werden sollen, aber es gibt keinen Raum für Partizipation, für Dialog, und das ist völlig kontraproduktiv", sagt die Anwältin und Direktorin von Cubalex, Laritza Diversent, im Gespräch mit DW.
Daniela Rojo hat die Hoffnung, dass trotz der Repression seitens der kubanischen Behörden und der Omnipräsenz der von den staatlichen Medien verbreiteten Propaganda, eine andere Botschaft Gehör findet: "Dass die Situation in Kuba unhaltbar ist. Dass wir nicht weiterhin alles, was in diesem Land falsch läuft, mit den US-Sanktionen erklären können. Dass die Arbeit der Regierung eindeutig unzureichend ist. Wir müssen uns die Möglichkeit geben, in einem demokratischen Land zu leben, in dem jeder das Recht hat zu sagen, was er denkt und was er sich für sein Land wünscht".