"Kuschelkurs" oder "Harte Hand" für Ankara?
15. Februar 2018Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, Volker Perthes, rät von zu viel Druck auf die türkische Regierung ab und plädiert für einen Dialog. "Ich denke, wir sind deutlich genug in der Kritik an Menschenrechtsverstößen in der Türkei", sagte Perthes der Nachrichtenagentur AFP vor dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Die Kanzlerin empfängt den Gast aus Ankara am Nachmittag.
"Isolierte Länder suchen sich neue Partner"
"Es kann nicht unser Ziel und unser Interesse sein, die Türkei zu isolieren. Denn dadurch wird sich die Menschenrechtssituation in dem Land nicht verbessern. Das wissen wir aus Ländern, die zunehmend in internationale Isolation gedrängt worden sind", erläuterte der Nahostexperte. Solche Staaten sähen sich nach anderen Partnern um. "Dafür sehen wir ja auch schon genug Zeichen", etwa "wenn die Türkei sehr intensiv mit Russland zusammenarbeitet", ergänzte der Stiftungsdirektor. Für Deutschland und den Westen bleibt die Türkei nach seinen Worten ein ganz wichtiger Partner. "Nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer und sicherheitspolitischer Partner, mit dem wir das Gespräch nicht abbrechen dürfen", mahnte Perthes.
Traditionell sind Deutschland und die Türkei Partnerländer, in den vergangenen Jahren jedoch prägten massive Spannungen das Verhältnis. Seit einiger Zeit bemühen sich beide Seiten wieder um Annäherung. Neben dem harten Vorgehen Ankaras gegen die türkische Opposition und der Offensive gegen Kurden im benachbarten Nordostsyrien stößt in Berlin vor allem auf Kritik, dass der Korrespondent der Zeitung "Die Welt", Deniz Yücel, seit einem Jahr ohne Anklage in der Türkei inhaftiert ist.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik berät die Regierung und den Bundestag in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Das Institut ist die größte Einrichtung seiner Art in Europa.
Wagenknecht und Özdemir verlangen Konsequenzen
Die oppositionelle Linkspartei und die Grünen mahnten vor dem Gespräch zwischen Merkel und Yildirim nochmals einen harten Kurs gegenüber der Türkei an. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht forderte einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte an den NATO-Partner und ein Einfrieren der EU-Beitrittsverhandlungen. "Wer mit einer islamistischen Diktatur weiter über einen EU-Beitritt verhandelt, tritt die europäische Idee mit Füßen", sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir rief Merkel auf, die türkische Intervention in Nordsyrien gegen die kurdische YPG-Miliz zu thematisieren. "Wir dürfen nicht die Augen verschließen, wenn ein NATO-Partner Zivilisten bombardiert, Tausende Menschen in die Flucht treibt und einem anderen NATO-Partner (USA) droht", sagte der frühere Parteichef der dpa.
Beide Politiker forderten zudem die bedingungslose Freilassung von Deniz Yücel. Sie machten ein weiteres Mal deutlich, dass ein Freikommen des Journalisten nicht durch einen "schmutzigen Deal" über die Zusage von Rüstungslieferungen erkauft werden dürfe.
se/sam (afp, dpa)