Vergessenes Leid
13. Dezember 2007Eine der schlimmsten Tragödien der Gegenwart, drei Millionen Tote, extreme Grausamkeiten - im Sommer 2006 war das Schicksal des Kongo weltweit präsent. Medien berichteten so viel wie nie zuvor. Grund dafür war ein Superlativ: Im Juli sollten die ersten demokratischen Wahlen seit 1965 endlich Stabilität und Frieden garantieren - nach mehr als 40 Jahren Ausbeutung und Krieg. Doch wenige Monate nach dem Wahlsieg von Präsident Kabila begannen neue Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen des unterlegenen Kandidaten Bemba. Da hatte sich die Weltöffentlichkeit schon wieder abgewandt. Auch die EU-Truppe, die die Wahlen beaufsichtigte, war verschwunden. Und mit ihr der aufkeimende Friedensprozess, der 2002 nach dem Ende des Bürgerkrieges begonnen hatte.
Vor allem im Nordosten des Landes fließt wieder Blut, weil dort Rebellengeneral Laurent Nkunda einen Privatkrieg gegen die Regierung führt. In diesen Tagen erobern seine Kämpfer Stellungen zurück, die die Regierungstruppen bei ihrer Offensive vor fast drei Wochen eingenommen hatten. "In den letzten zehn Tagen haben wir 60.000 Flüchtlinge gezählt", sagt Kemal Saiki, Sprecher der UN-Mission "Monuc", die im Kongo 17.000 Soldaten stationiert hat. Tausende Menschen sind alleine aus der Stadt Saké geflüchtet, wo die UN-Blauhelme noch die Stellung halten.
Auswärtiges Amt erhöht Hilfsgelder
Nach UN-Angaben sind in der Provinz Nord-Kivu schon 400.000 Menschen vor den Kämpfen geflohen. Die Lage ist so dramatisch, dass das Auswärtige Amt am Mittwoch (12.12.2007) die Hilfen um eine Millionen Euro erhöhte. Am Donnerstag befasste sich der Bundestag mit den Kämpfen. "Die Bevölkerung muss willkürliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen über sich ergehen lassen", berichtet Bruno Jochum, Kongo-Programmleiter bei "Ärzte ohne Grenzen."
Neben den eigentlichen Kämpfen tobt ein leiser Krieg. Seine Opfer: Frauen und Kinder. Mit Massenvergewaltigungen soll die Bevölkerung eingeschüchtert werden. "Ostkongo ist das Beispiel, wo das heute wahrscheinlich am schlimmsten eingesetzt wird", sagt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke. "Ärzte ohne Grenzen" hat neue Zahlen vorgelegt: Seit 2003 wurden 7.400 Vergewaltigungsopfer in der Region behandelt. Fast die Hälfte der Täter seien Soldaten oder Milizionäre, erklärt Jochum.
Plünderungen wegen zu geringem Sold
Auch Regierungssoldaten plündern ganze Dörfer. Dies liege vor allem an ihrer miserablen Bezahlung, sagt Hartwig Fischer, Afrika-Experte der CDU. "Eine von der Bevölkerung akzeptierte Armee kann sich auch eher durchsetzen, wenn einzelne versuchen, sich an die Macht zu putschen", erklärt der Bundestagsabgeordnete.
Im Kongo ist ein Klima der Gewalt entstanden, in dem sich der Wert von Menschenleben auf ein Mindestmaß reduziert hat. Auch die UN-Soldaten können daran kaum etwas ändern. Sie greifen nur im Notfall ein - aus Sicht vieler Einheimischer oft zu spät. "Die Vorwürfe sind haltlos", sagt Monuc-Sprecher Saiki. "Wenn wir einschreiten mussten, haben wir das getan. 2006 gab es Angriffe auf Saké und Goma, die mit unserer Hilfe zurückgeschlagen werden konnten."
Hutus gegen Tutsis
Rebellengeneral Nkunda strebt nicht die Kontrolle des ganzen Landes an, wohl aber die Macht über die Provinz Kivu. Er kämpft seit 2004 gegen die Regierungstruppen, denen er einst angehörte. Nkunda wirft ihnen vor, Hutu-Milizen zu unterstützen, die nach dem Völkermord an den Tutsi im benachbarten Ruanda Zuflucht im Kongo gefunden haben. Als Tutsi sieht er es als seine Aufgabe an, die eigene Volksgruppe in der Region zu schützen.
Die Kämpfe dürften sich noch lange hinziehen, denn Nkundas Miliz ist gut ausgerüstet. Nicht wenige Kongolesen vermuten, dass ihn Erzfeind Ruanda unterstützt, um das Land erneut zu destabilisieren - so wie im Bürgerkrieg, der 2002 zu Ende ging. Nachbarstaaten wie Uganda und Ruanda waren beteiligt, weil sie auf Rohstoffe im Ostkongo aus waren. Bilanz des Krieges: drei Millionen Tote und hunderttausende Flüchtlinge. 2003 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet. UN-Soldaten und die Wahlen sollten zusätzlich Stabilität geben.
Stabilität kann auch die neue Regierung dem Kongo nicht geben. Andrea Ostheimer, Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa, bescheinigt ihr "weitreichende Lethargie". "Der Demokratisierungsprozess befindet sich im Leerlauf", erklärt sie in einer Analyse. Auch die Entwaffnung der Milizen im Osten sei nicht vorangekommen. Die nationalen Streitkräfte seien eine "tickende Zeitbombe", von der die Stabilität des Landes abhinge. Deutlich wird auch hier: Im Kongo brechen alte Wunden wieder auf. Es scheint, als würden sie sich nicht so schnell wieder schließen.