Boeings dunkle Wolken über der Paris Air Show
14. Juni 2019Die Generalversammlung des Airline-Verbandes IATA Anfang Juni in Seoul gab einen Vorgeschmack auf die neue Zeitrechnung im zivilen Flugzeuggeschäft. Normalerweise liefern sich auf der Luft- und Raumfahrtausstellung in Paris, wo sich mit allen Linienfluggesellschaften der Welt ihre wichtigsten Kunden an einem Ort versammeln, Airbus und Boeing hinter, aber auch vor den Kulissen einen gesunden und ehrgeizig geführten Wettbewerb. Bei Airbus stehen die Zeichen gerade auf Feiern, das europäische Konsortium wird in diesen Tagen 50 Jahre alt und es läuft ziemlich rund.
Bei Boeing hingegen herrscht die größte Krise der Unternehmensgeschichte. "Ja, es geht uns richtig schlecht gerade", bestätigte Marketingchef Randy Tinseth in Seoul gegenüber der DW. Obwohl Boeing, wie es Tradition ist, einen der beiden Gala-Abende während des IATA-Jahrestreffens sponserte, besaßen weder Tinseth noch der ebenfalls anwesende, aber nicht in Erscheinung tretende Chef der Zivilflugzeugsparte, Kevin McAllister, die Größe, den Gästen zumindest eine kurze persönliche Begrüßung zuteilwerden zu lassen. Auf das Buffet wurden Schilder gestellt mit der Aufschrift: Kindly sponsored by Boeing, das war's.
Boeings tiefe Krise
In der US-Konzernzentrale steckt man gerade den Kopf in den Sand. Keine Spur mehr vom sonst üblichen amerikanischen Selbstbewusstsein. Die Krise rund um die 737 Max hat Boeing offensichtlich auch in starke Selbstzweifel gestürzt. Derzeit scheint aber auch nichts zu funktionieren. In das IATA-Treffen platzen Enthüllungen der New York Times, die zeigen wie durch und durch verkommen der gesamte Planungs- und Genehmigungsprozess zwischen Boeing und der Aufsichtsbehörde FAA für die 737 Max war, die nach zwei Abstürzen mit 346 Toten seit März weltweit am Boden bleiben muss.
Der Argwohn innerhalb und außerhalb der Branche ist riesig und die Skepsis darüber, wann Boeings bisheriger Bestseller von den Behörden nach Modifikationen wieder als sicher eingestuft wird und mit Passagieren abheben kann. Bei der FAA geht man mittlerweile davon aus, dass die Maschine "definitiv vor dem Jahresende" wieder fliegen kann, sagte FAA-Sicherheitsexperte Ali Bahrami der Nachrichtenagentur Bloomberg. Eine Einschätzung, die Emirates-Chef Sir Tim Clark teilt, wie auch Doug Parker, der Chef von American Airlines.
Gespanntes Warten auf eine Pressekonferenz
Eigentlich wollte Boeing auf der alle zwei Jahre stattfindenden, weltweit größten Luft- und Raumfahrtmesse in Paris-Le Bourget groß punkten. Glanzlicht sollte der erste Auftritt der Boeing 777X werden, der Weiterentwicklung des erfolgreichen Langstreckenflugzeugs, zu dessen Erstbetreibern ab Ende 2020 die Lufthansa gehören wird. Doch auch deren Start geriet in den Abwärtssog des Max-Desasters. Die feierliche Enthüllung am Produktionsstandort in Seattle sollte just stattfinden, als im März gerade die zweite 737 Max in Äthiopien abgestürzt war. Die Feier wurde abgesagt.
Das Flugzeug, das eigentlich jetzt bereits den Atlantik überqueren sollte, ist bisher noch gar nicht geflogen. Jüngst auftretende Triebwerksprobleme haben den Erstflug mindestens bis Ende Juni verzögert. "Wir werden in Le Bourget nicht viel machen", kündigte Randy Tinseth bereits in Seoul an. Immerhin stellen sich einige führende Manager, darunter Kevin McAllister, nicht aber CEO Dennis Muilenburg, am Montagmorgen in Paris der internationalen Presse. Boeing hofft, auch endlich wieder positive Nachrichten verkünden zu können - so etwa Bestellungen aus Asien, etwa von Korean Air, für die neue 777X.
Allein die Tatsache, dass Boeing mit nur einem einzigen Verkehrsflugzeug auf der 53. Pariser Luftfahrtschau auftritt, spricht Bände und ist höchst ungewöhnlich. Eine Boeing 787 in der leuchtend blauen Bemalung von Air Tahiti Nui soll Flagge zeigen.
Airbus mit Heimspiel in Paris
Airbus dagegen sieht Paris als Heimspiel und tritt in entsprechend offensiv auf: Mit ihrem jüngsten und kleinsten Spross A220 (eine Bombardier-Übernahme, die dringend auf Orders wartet), der A330neo (die ebenfalls umgehend weitere Kunden braucht), der A350-1000, der neuen A321LR, einer Langstreckenversion des Mittelstreckenjets sowie einer gebrauchten A380. Sie soll an den Publikumstagen am kommenden Wochenende die Massen beeindrucken, obwohl die Einstellung des A380-Programms bereits verkündet wurde.
In der Branche erwartet man auch den Start für die erweiterte Langstreckenversion A321XLR in Paris, was den Druck auf Boeing verstärken würde, mit ihrem lang erwarteten neuen Mittelstreckenflugzeug dagegenzuhalten, das bisher unter dem Arbeitstitel NMA (New Midsize Airplane) läuft. Dessen Start, ursprünglich auch für Paris vorgesehen, verzögert sich weiter.
Und sonst?
Interessant ist auch, wer in Paris nicht oder gerade noch vertreten ist. So wird die kanadische Marke Bombardier bald vom Verkehrsflugzeugmarkt verschwinden, nach dem Verkauf der C-Series als A220 an Airbus wurde auch das Turboprop-Geschäft an die kanadische Viking Air veräußert. Verblieben sind derzeit noch die Regionaljets: Eine CRJ900 wird in Paris vertreten sein. Allerdings laufen derzeit Verhandlungen, die CRJ-Serie an Mitsubishi in Japan zu verkaufen.
Deren Regional Jet, das erste seit den 1960er Jahren in Japan entworfene und gebaute Flugzeug, flog zwar bereits 2015 zum ersten Mal, ist aber von Verzögerungen geplagt. Eine MRJ90 wird in Paris erstmals zu sehen sein, erste Auslieferungen sind nun für Mitte 2020 avisiert. Die Übernahme der Bombardier-Regionaljetsparte könnte da eine wichtige Ergänzung sein.
Mit 2453 Ausstellern, die meisten davon aus Frankreich, gefolgt von Firmen aus den USA, Deutschland und Italien, wird dies die größte Pariser Luftfahrtschau jemals sein. Von den 150 angemeldeten Flugzeugen werden allerdings viele Veteranen wie die Ju-52 sein, die vor allem das Publikum begeistern sollen.