"Politischer Wandel in Kuba unvermeidlich"
18. Oktober 2019Leonardo Paduras Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt und auch schon für das Kino und eine Netflix-Serie adaptiert. Auf Deutsch erscheinen seine Bücher seit rund zwei Jahrzehnten im Schweizer Unionsverlag. Derzeit absolviert der kubanische Schriftsteller in Deutschland eine Lesetour für seinen neuesten Roman "Die Durchlässigkeit der Zeit".
Die Alter Egos von Padura: Conde und Lennon
Mario Conde, die fiktive Figur, die Leonardo Paduro seit fast 30 Jahren begleitet, wurde "als eigenwilliger investigativer Polizist", als eine Art "Anti-Polizist" aus der Taufe gehoben: "sensibel, kultiviert und jeglicher Gewaltanwendung abgeneigt". Mit diesen Eigenschaften reicht seine Polizeikarriere nur bis zum vierten Roman. In "Die Durchlässigkeit der Zeit", dem neunten Roman der Conde-Serie, verkauft der Serienheld seit vielen Jahren gebrauchte Bücher und hält sich gerade so "am Rande des Elends", wie Paduro der DW erzählte.
Aber Conde war nicht nur Kriminalermittler oder, in jüngster Zeit, jemand, der Geheimnisse aufspürt. Er ist auch das "Vehikel", mit dem Padura die kubanische Realität betrachtet und widerspiegelt. Conde und sein Schöpfer Padura teilen Erfahrungen ihrer gemeinsamen Generation. Der Schriftsteller und seine fiktive Figur gingen auf die gleichen Schulen und hatten ähnliche Freunde. Sie sind "Teil einer Welt, die um sie herum zerfällt": dieses künstliche Land, diese soziale Utopie, die wirtschaftlich von der Sowjetunion ausgehalten wurde, und in der alle gleich arm waren, egal ob sie Ärzte, Geologen, Ingenieure, Architekten, Zahnärzte oder Philologen waren.
Conde und Padura wurden, genau wie John Lennon, am 9. Oktober geboren. Wobei Conde ein Jahr "älter" ist als Padura und dieser 15 Jahre jünger als der Gründer der Beatles: dieser mythischen britischen Band, die seine Generation in den 1970er Jahren heimlich hörte.
Emigration und Diaspora
"Die Durchlässigkeit der Zeit" ist, wie alle Werke Paduras, auch ein Roman über die kubanische Auswanderung und die Beziehung der Inselbewohner zu ihrer Diaspora. "Dieses Thema ist eine meiner Obsessionen, die mich all die Jahre verfolgt haben", sagt Paduro, obgleich er wisse, dass die Welt voller Migrationsbewegungen ist, vielerorts durch Extreme wie Krieg, Epidemien oder Hungersnöte ausgelöst.
Im Falle Kubas "ist die Zahl der Menschen, die seit meiner Kindheit dem Land den Rücken gekehrt haben, enorm", sagt der Schriftsteller. Er könnte damit auch für seine fiktive Figur Mario Conde sprechen, denn beide leben weiterhin in jeweils dem Haus, in dem sie 1954 und 1955 geboren wurden - in Mantilla, einem Vorort von Havanna. Deshalb werde sein kommender, schon fast beendeter Roman "das Phänomen der kubanischen Diaspora, der Diaspora meiner Generation aber auch der unserer Kinder behandeln", so Padura gegenüber der DW.
Kuba am Scheideweg
"In den letzten 60 Jahren blieben das politische System und die Wirtschaftsstruktur Kubas unverändert. Andererseits hat sich die kubanische Gesellschaft in den letzten 20 bis 30 Jahren stark verändert. Diese sozialen Veränderungen werden irgendwann unweigerlich eine wirtschaftliche und politische Veränderung auslösen", versichert Padura, der 2009 "Der Mann, der Hunde liebte" veröffentlichte: einen Roman - diesmal ohne Mario Conde - über die Pervertierung der sozialistischen Utopie im 20. Jahrhundert.
Padura erklärt jedoch, dass er nicht die geringste Ahnung habe, wann und wie diese Veränderungen stattfinden oder wer ihre Protagonisten sein werden. Er habe jedoch die Hoffnung, "dass die Kubaner irgendwann, nach so vielen Opfern und Entbehrungen, ein besseres Leben haben werden", sagt der Schriftsteller.
"Es gibt viele sehr wichtige Dinge, zu denen Kubaner einen garantierten Zugang haben: Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit. Aber trotzdem wissen sie nicht, wie sie am nächsten Tag über die Runden kommen sollen. Niemand verhungert und niemand muss auf der Straße schlafen, aber sie sind trotzdem gezwungen, Überlebensstrategien zu beherrschen", so Paduro.
Veröffentlicht in Kuba – irgendwie
Er hofft, dass sein Roman "Die Durchlässigkeit der Zeit" im kommenden Jahr auch in Kuba veröffentlicht wird. Der akute Papiermangel auf der Insel sei allerdings ein großes Hindernis, meint der Autor. Es stimme ihn traurig, dass es für viele Deutsche wesentlich einfacher als für Kubaner sei, eines seiner Bücher zu kaufen. Paduro hat dafür ein anschauliches Beispiel: "Mein Roman 'Der Mann, der Hunde liebte' hat in der spanischen Ausgabe über 100 Auflagen, und meine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt. Aber auf der Buchmesse in Havanna vor zwei Jahren wurde nur ein einziges Buch von mir vorgestellt: Es war ein Buch für Blinde, in Brailleschrift."