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Libyen ringt um Waffenkontrolle

8. Dezember 2011

Maschinengewehre, Luftabwehrraketen, chemische Kampfstoffe – Libyen ist eine Waffenkammer. Nach der Revolution befürchten viele, dass die Waffen in die falschen Hände geraten könnten.

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Libyer feiern einen Waffenfund (Foto: DW)
Libyer feiern einen WaffenfundBild: DW

Volksfeststimmung auf dem Märtyrer-Platz in Tripolis: Kinder spielen und jubeln auf zu Karussells umfunktionierten Luftabwehrkanonen, fliegende Händler verkaufen Revolutionsandenken, über den Köpfen der Menschen explodieren bunte Feuerwerkskörper. "Gott ist groß", schreit ein Mann in der Menge, "Muammar ist tot und es gibt keine Spur mehr von seiner schrecklichen Familie in unserem Land".

Noch immer wird auf dem Märtyrer-Platz regelmäßig der Sturz des Gaddafi-Regimes gefeiert. Doch es gibt Grund zur Sorge. Hunderttausende Waffen gelangten während der libyschen Revolution in die Hände der Bevölkerung. Angesichts der Gefahr von Stammeskonflikten und persönlichen Abrechnungen werden genau diese Waffen zum gefährlichsten Feind einer friedlichen Zukunft.

Die Anti-Waffen-Brigade

Auf der Suche nach bewaffneten Zivilisten (Foto: DW)
Auf der Suche nach bewaffneten ZivilistenBild: DW

Brigadekapitän Abed al-Majid leitet eine der Einheiten, die die vielen Waffen in den Händen von Zivilisten einsammeln sollen. Einige, erklärt al-Majid, würden ihre Waffen aus nostalgischen Gründen behalten, als Andenken an die Revolution.

Mehr Sorgen machen sich al-Majid und seine Männer um die zweite Gruppe. "Die wollen ihre Waffen auch benutzen", sagt al-Majid. "Aber dann werden wir sie kriegen. Wir werden sie verhaften und dann werden sie vor Gericht gestellt."

Es ist später Abend in Tripolis. Al-Majid und seine Männer haben einen Checkpoint an einer belebten Hauptverkehrsstraße eingerichtet. Sie suchen nach illegalen Waffen. Wer einen Waffenschein der Regierung besitzt, darf weiterfahren. Alle anderen müssen ihre Waffen abgeben. "Wir verhören die Besitzer", erklärt al-Majid. "Wir wollen herausfinden, woher sie ihre Waffen haben, was sie damit machen und warum sie sie nicht abgegeben haben."

Viele Kämpfer wollen sich nicht von ihren Waffen trennen (Foto: DW)
Viele Kämpfer wollen sich nicht von ihren Waffen trennenBild: DW

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum die Menschen ihre Waffen nicht abgeben wollen. Einige sagen, Libyen sei noch nicht sicher genug. Andere weigern sich aus ideologischen Gründen. Es sind vor allem ehemalige Kämpfer wie Ahmed Suleiman und seine Freunde. Ganz offen zeigen sie ihr Arsenal, vor allem AK-47 Maschinengewehre und Handfeuerwaffen.

Er und seine Kämpfer hätten viel geopfert, um Gaddafi zu stürzen, erklärt Suleiman. Deswegen sei es unmöglich, die Waffen abzugeben, bevor sich die neue politische Ordnung stabilisiert habe. "Ich werde die Waffen erst abgeben, wenn das Verteidigungsministerium es offiziell anordnet", sagt Suleiman. "Im Moment aber werden wir das nicht tun." Bisher gibt es keine derartige Anordnung.

Keine Raketen für Al Kaida

Doch Gewehre und Pistolen sind nur ein Teil des Problems. Es geht auch um schwere Waffen, Artillerie, Granaten, Landminen und sogar Scud-Raketen. All das ist in zahlreichen, vom Nationalen Übergangsrat (NTC) verwalteten Lagerhäusern in Tripolis zu finden.

Beschlagnahmte Waffen (Foto: DW)
Beschlagnahmte WaffenBild: DW

Tausende solcher schweren Waffen sind noch immer in den Händen bewaffneter Gruppen. Häufig ist unklar, wo genau sich die Waffen befinden. Ein Problem, das auch der internationalen Gemeinschaft Sorgen bereitet. Die Befürchtung: Libyens Waffen könnten in die Hände von Terrorgruppen geraten. Ein möglicher Abnehmer wäre der im benachbarten Algerien aktive Al-Kaida-Ableger, ein anderer die im Gaza-Streifen regierende Hamas.

Israel hat bereits Maßnahmen ergriffen, um seinen Luftverkehr vor möglichen Attacken durch in den Gaza-Streifen geschmuggelte Boden-Luft-Raketen zu schützen. Die Vereinten Nationen haben Teams nach Libyen geschickt, die die libysche Übergangsregierung bei der Suche und Beseitigung der von Gaddafi zurückgelassenen chemischen Waffen unterstützen sollen. Gemeinsam mit seinen internationalen Partnern versucht Libyens Nationaler Übergangsrat, den Schmuggel schwerer Waffen ins Ausland zu verhindern.

Der Traum von einer neuen Ära

Unterdessen bekämpft der Revolutionsrat von Tripolis das nationale Problem der bewaffneten Bürger. "Unsere Mitarbeiter gehen in die Stadtviertel, reden mit den Leuten, versuchen sie über die Gefahren der Verbreitung von Waffen aufzuklären", sagt Jamal Faraj, der für die Waffenkontrolleinheit des Revolutionsrates arbeitet. "Und es funktioniert."

In den vergangenen zwei Wochen haben Faraj und sein Team über 1000 Gewehre und Pistolen eingesammelt. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Noch immer gibt es hunderttausende Waffen. Deswegen ist die wirkliche Herausforderung, ein Gefühl von Sicherheit und politischer Stabilität zu vermitteln, das die Bürger ermutigt, ihre Waffen freiwillig abzugeben.

Zurück in der Kaserne von Brigadekapitän Abed al-Majid. Die Männer der Einheit sitzen um Plastiktische, essen Kuskus und Hühnchen, einige tanzen zu lauter Musik. Es war ein guter Tag. Die Brigade hat ein Waffenlager von Gaddafi-Anhängern entdeckt.

Al-Majid sagt, er verstehe die Ängste der Menschen, die ihre Waffen nicht abgeben wollten. Trotzdem müsse das Waffenproblem gelöst werden: "Die Gaddafi-Ära ist vorbei. Jetzt beginnt eine neue Ära. Etwas, das wir mit unseren eigenen Händen geschaffen haben." Und das, betont Al-Majid, müsse bewahrt werden.

Autor: Don Duncan
Redaktion: Nils Naumann