Die Grenzen des Wachstums
18. Juni 2013Stellen Sie sich vor, die Wirtschaft wäre ein Fahrrad. Was passiert mit dem Fahrrad, wenn wir aufhören, in die Pedale zu treten? Es kippt um, und wenn wir ungeschickt sind, dann fallen wir auch schnell um. Auf die Frage, was wir nun mit dem Fahrrad, also mit unserem Wirtschaftssystem, machen sollen, waren sich die Teilnehmer auf dem Global Media Forum in Bonn nicht immer einig: Die einen würden immer weiter treten. Die anderen wiederum einfach vom Fahrrad absteigen. Anders gesagt: Brauchen wir ein stetiges Wachstum - jedes Jahr, immer mehr, um jeden Preis? Oder gibt es andere, nachhaltigere Ansätze, die uns weiter voranbringen und den Wohlstand aller garantieren?
Die Idee vom "nachhaltigen" Wachstum
"Das Ziel der Politiker soll nicht sein, die Wirtschaft auf Wachstum zu eichen. Ihre größte Aufgabe müsste die gleichmäßige Verteilung der Ressourcen sein", sagt Joachim Spangenberg vom "Sustainable Europe Research Institute" (SERI). Denn derzeit gebe es zwei Arten von Gesellschaften: überentwickelte und unterentwickelte. Das müsse sich ändern.
Die Lösung projiziert Spangenberg auf die Wand. Es ist eine einfache Grafik, die aus drei Ebenen besteht: Oben befindet sich der Teil der Bevölkerung, der "zu viel" hat, unten der "zu wenig" hat, dazwischen eine grüne Linie. "Die oben müssen auf einen Teil ihres Wohlstandes verzichten und ihren Ressourcenverbrauch reduzieren. Die unterhalb der grünen Linie müssen die Chance bekommen, sich nach oben zu heben", sagt Spangenberg.
Das Konzept des Wachstums stellt Spangenberg nicht gänzlich in Frage. Aber es solle ein "nachhaltiges Wachstum" sein, eins das "nicht auf den Profit ausgerichtet ist, sondern auf den tatsächlichen Bedarf der Menschen. Ein Konzept, das die armen Menschen aus der Armut holt und dabei die Ressourcen schützt, so dass der Bedarf zukünftiger Generationen nicht gefährdet ist."
Damit alle irgendwann in diesen grünen Grafik-Bereich landen, ist ein Umdenken notwendig. Wie viel brauchen wir wirklich zum Leben? Was ist genug? Wieso ist das, was heute genug ist, in ein paar Jahren nicht mehr ausreichend? Und wieso wollen wir immer mehr? Darüber müsse sich jeder einzelne von uns Gedanken machen, so Spangenberg.
Die Politik stärker in die Pflicht nehmen
Der Philosoph Adam Smith war sich im 18. Jahrhundert sicher: Der Markt wird sich schon irgendwie von selbst regulieren. Von der "unsichtbaren Hand" war die Rede. Gerade in Krisenzeiten zweifeln jedoch viele daran. Der Staat sei gefragt, er solle stärker intervenieren, meint Spangenberg. Wichtig dabei: Die Forderungen der Massen sollten beachtet werden, aber genau das tun die meisten Regierungen nicht. "In Frankreich, Spanien, Irland, Portugal, Slowenien, der Slowakei und auf Zypern - in all diesen Ländern haben die Menschen in den letzten Jahren nach Ausbruch der Krise ihren Unmut gegen das aktuelle Wirtschaftsmodell gezeigt", sagt der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der bedeutendsten linken Intellektuellen.
Aber auch wenn die politischen Eliten in der Zwischenzeit ausgetauscht worden seien, ihre Wirtschaftspolitik sei die gleiche geblieben: "Überall werden Sozialleistungen gekürzt, Steuern erhöht - gegen den Willen des eigenen Volkes", sagt Chomsky. Die europäischen Volkswirtschaften würden lediglich die makroökonomischen EU-Regeln erfüllen, die in Brüssel geschmiedet werden. Wahlen seien bedeutungslos, ähnlich wie in Entwicklungsländern, die von internationalen Finanzinstitutionen regiert würden. "Aber das hat sich Europa selbst ausgesucht", sagt Chomsky.
Wirtschaftliche oder soziale Stabilität - was kommt zuerst?
Was war zuerst da: das Ei oder das Huhn? Die Frage auf dem Global Media Forum war nicht minder schwer zu beantworten wie diese klassische Frage der Philosophie. Was folgt wem: Der wirtschaftliche Wohlstand auf den Frieden oder die soziale Stabilität einem erfolgreichen Wirtschaftsmodell?
Vasu Gounden vom "African Centre for the Constructive Resolution of Disputes" wollte die Frage nicht pauschal beantworten, aber im Falle von Südafrika sei der Frieden die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum gewesen: "Bis 1994 hatten wir ein negatives Wachstum. Dann kam der Frieden und das war notwendig, um wirtschaftlich voranzukommen", sagt Gouden.
Aber im Moment zeichne sich genau das Gegenteil ab, warnt der Experte: "Die letzten 20 Jahre, in denen Südafrika eine friedliche Staatsordnung hatte, haben wir nicht richtig genutzt. Wir haben viele Strukturprobleme im Land selbst geschaffen - Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, ein schwaches Bildungssystem, Probleme im Gesundheitsmanagement. Auf einmal ist unser Frieden bedroht, weil die Wirtschaft schwächelt."
Soziale Unruhen trotz Mega-Wachstum
Wenn das Wirtschaftswachstum so wichtig für ein Land ist, um soziale Unruhen gar nicht erst entstehen zu lassen, wieso demonstrieren dann so viele Menschen im Moment in Brasilien, fragt sich Simone Moura Dias. Ihr Land weist seit Jahren positive Wachstumsraten auf, von denen europäische Länder nur träumen können.
Also: Wie war das noch mal mit dem Frieden und dem Wachstum? "Die Wirtschaftsleistung an sich beeindruckt und befriedigt die Menschen in Brasilien nicht. Es sind reine Zahlen, die die Menschen aus den Zeitungen erfahren. Dass es ihrem Land so gut geht, das spüren die meisten nicht", erzählt Dias. Ein Wirtschaftswachstum sei nicht die Garantie für eine friedliche und prosperierende Gesellschaft. Denn in vielen Ländern, die ein hohes Wachstum vorweisen können, profitiert tatsächlich nur ein kleiner Teil von dem wirtschaftlichen Erfolg.