Mehr Staat - weniger Markt?
16. Dezember 2013Ein landesweiter Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde war einer der Hauptstreitpunkte der fünfwöchigen Verhandlungen, die in einer 17-stündigen Marathonsitzung am Mittwochmorgen endeten. Der Kompromiss: 2015 wird der Mindestlohn eingeführt, allerdings mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren. Bis dahin können Unternehmer und Gewerkschaften auch Tarifverträge abschließen, die deutlich niedrigere Stundenlöhne vorsehen."
Für die SPD war ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro eine Grundvoraussetzung, um sich an einer großen Koalition zu beteiligen. In Deutschland werden Löhne und Gehälter normalerweise ohne staatlichen Eingriff zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt. Die meisten Unternehmer und Wirtschaftsverbände, klassische Unterstützer der Unionsparteien CDU und CSU, lehnen Mindestlöhne ab. "Der Mindestlohn ist nicht von ökonomischer Ratio getragen, sondern eine machtpolitische Demonstration der SPD", sagt Michael Hüther, Direktor des unternehmernahen Instituts für Wirtschaftsforschung (IW) in Köln. "Ökonomisch betrachtet gehen wir bei 8,50 Euro pro Stunde das Risiko von Beschäftigungsverlusten ein."
Marktgerechte Löhne?
In einigen Branchen, vor allen in wirtschaftlich schwachen Gegenden Ostdeutschland, werden Löhne gezählt, die nur halb so hoch sind wie der künftige Mindestlohn. Wenn der Staat hier die Höhe der Löhne vorschreibt, so Hüthers Argument, werden diese Jobs ganz verschwinden.
"Die Gegner des Mindestlohns gehen immer davon aus, dass der Lohn, der sich am Markt ergeben hat, der richtige Lohn ist. Das ist aber eine naive Vorstellung von Markt", sagt dagegen Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf. "Löhne sind auch das Ergebnis von Marktmacht. Und es ist nun einmal so, dass gerade in Ostdeutschland die einzelnen Beschäftigten wenig Marktmacht haben. Deshalb wurden ihre Löhne auch so stark gedrückt."
Horn erwartet durch den Mindestlohn Einkommenssteigerungen für einige Millionen Menschen, und in der Folge auch höhere Einnahmen für den Finanzminister und die Sozialkassen.
Trotzdem ist er vom Koalitionsvertrag insgesamt enttäuscht. "Ich vermisse ganz deutlich eine Strategie für Europa. Die bisherige Strategie ist da offenkundig gescheitert", so der Volkswirt. "Es ist doch die Aufgabe einer Regierung des größten Landes im Euroraum, Alternativen anzubieten im Verhandlungsprozess. Und das muss natürlich in Koalitionsverhandlungen vorgezeichnet werden. Davon ist im Moment nichts, aber auch gar nichts erkennbar."
Auch Michael Hüther gibt dem Vertrag schlechte Noten, wenn auch aus anderen Gründen. "Das Problem der Koalitionsverhandlungen ist, dass an keiner Stelle gefragt wird, wie Einkommen, Beschäftigung und Wachstum entstehen. Es wird nur gefragt, wie kann man bestehende Einkommen umverteilen und wie kann man sozialpolitische Leitungen begründen."
Verfallende Infrastruktur
Zusammengefasst lautet die Kritik von links und rechts also: der neuen Regierung fehlt der Blick für das große Ganze, stattdessen hat sie lange über Details wie Frauenquote oder eine Rentenerhöhung für kleine Gruppen gestritten. Die neue Bundesregierung will 23 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Infrastruktur ausgeben, ohne die Steuern zu erhöhen.
Eine Vision für die Zukunft kann Gustav Horn auch darin nicht erkennen. Man habe ein großes Problem in Deutschland mit der verfallenden Infrastruktur. "Die Klagen nehmen ja zu recht kein Ende. Es kommt als Antwort, wir werden etwa 23 Milliarden Euro in vier Jahren investieren." Das sei im Durchschnitt pro Jahr etwa ein Viertel Prozentpunkt vom deutschen Bruttoinlandsprodukt. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein und sonst gar nichts", so Horn.
Hinzu kommt, dass die Beschlüsse des Koalitionsvertrags rechtlich nicht bindend sind. Die neue Bundesregierung wäre nicht die erste, die ihre Pläne im Lauf ihrer Amtszeit nicht umsetzt.